Der Gitarrist André Krengel trotzt dem Auftrittsverbot

Mit dem Frühling trauen sich allmählich auch die Musiker auf die Straße. Noch wirken ihre Auftrittsversuche recht zaghaft. Man spürt ihre Anspannung, aber auch die Lust, wieder vor einem größeren Publikum zu spielen. Seit mehr als einem Jahr haben sie praktisch ein Berufsverbot. Das könnte noch lange so bleiben. Für die meisten Künstler sind die Aussichten so düster, dass sie unter Existenzängsten leiden. Ihr Handwerk verkümmert, ihre Geldreserven gehen zur Neige.

Der Gitarrist André Krengel könnte davon ein Lied singen – wenn er ein Sänger wäre. Da er aber bloß ein Instrument spielt, muss er die Saiten nutzen, um seine Emotionen und Gedanken in die Welt zu tragen. Eigentlich versteht sich der gebürtige Rheinländer nicht als Straßenmusiker. Sein Metier sind Veranstaltungen, die unter konzertanten Bedingungen stattfinden. Doch die Corona-Maßnahmen haben es zuwege gebracht, ihn wieder auf die Straße zu treiben. Weil im letzten Jahr viele seiner geplanten Konzerte abgesagt worden waren, spielte er zunächst auf sämtlichen Demonstrationen. Als im Spätherbst auch sie zunehmend torpediert wurden, flog Krengel nach Mexiko. Den Ausschlag gaben familiäre Zwistigkeiten, wie sie mittlerweile jeder kennen dürfte. Das Thema Corona spaltet – selbst in der Verwandtschaft.

Auftritte in Mexiko

Die Flucht nach Nordamerika sagt viel über den Charakter des Gitarristen aus. Als «Wanderer zwischen den Kulturen» reist er seit Jahren rund um den Globus, tritt mal dort, mal hier auf, lernt andere Musiker kennen und nimmt mit ihnen gemeinsame Stücke auf. Krengel sucht immer nach neuen Möglichkeiten – auch in Krisenzeiten. Und weil sie in Deutschland momentan nicht zu sehen sind, hat er sich nach Mexiko begeben. Hier konnte der Gitarrist problemlos den Flughafen verlassen, ohne einen negativen Corona-Test vorzeigen oder sich in Quarantäne begeben zu müssen. Von einer Pandemie war vor Ort nichts zu spüren. Die Menschen genossen das Leben in allen Zügen, sie tanzten und feierten.

André Krengel

Diese Bedingungen stimmten den Gitarristen genauso positiv wie das sonnige Wetter. Also ging Krengel schnell an die Arbeit. Er besorgte sich einen Verstärker und fragte bei diversen Gastronomiebetrieben an, ob er dort auftreten durfte. Um sie von seinen Fähigkeiten zu überzeugen, ließ er seine Finger virtuos zwischen den Saiten tanzen. Für Krengel eine Routinetätigkeit. Auf diese Weise erhielt der Gitarrist seine ersten Gigs, mit denen er zumindest den Aufenthalt in Mexiko finanzieren konnte.

Er spielte in Beach Clubs und Restaurants – in den Wintermonaten wohlgemerkt, als in Deutschland der ganze Kulturbetrieb noch im Tiefschlag lag. Ein musikalisches Eldorado war aber auch Mexiko nicht, weshalb Krengel zwischendurch auf der Straße seine Brötchen verdienen musste. Eines Tages trat er vor einem Supermarkt auf und schien einen Passanten besonders zu begeistern. Es war der israelische Musiker Ronnie Pinkas, der seine Heimat aus den gleichen Beweggründen verlassen hatte wie Krengel. Ein paar Tage später trafen sich beide zufällig wieder und kamen ins Gespräch, aus dem ein musikalisches Projekt entstand.

Glück in Florida

Später erhielt Krengel durch Freunde und Fans aus Deutschland auch noch einen lukrativen Gig bei einem Geburtstag in einer Privatvilla. Solche Auftritte und Kooperationen spülten endlich wieder Geld in die Kasse. Mal waren es Trinkgelder, mal Spenden oder Gagen, die zwar relativ niedrig ausfielen, aber für den Lebensunterhalt vor Ort völlig ausreichten. Seine Wohnung in Deutschland konnten diese Einnahmen jedoch nicht decken, weshalb Krengel nach neuen Verdienstmöglichkeiten suchen musste. Beinahe hätte er den Flug zurück nach Hause genommen, doch das Schicksal hielt andere Pläne für ihn bereit. Der Gitarrist beschloss, sein Glück dort herauszufordern, wo in der westlichen Sphäre derzeit die größten Freiheiten herrschen – in Florida.

Sein Instinkt sollte ihn auch dieses Mal nicht täuschen. Seitdem Krengel in dem sonnigen US-Bundesstaat angekommen ist, erlebt er eine Welt, wie er sie vor Corona kannte. Auf den Straßen drängen sich Menschen dicht an dicht. Tagsüber füllen sich die Straßencafés, nachts pulsiert das Leben in Bars und Diskotheken. Eine allgemeine Maskenpflicht gibt es nicht, nur einige große Einzelhandelsketten schreiben eine Mund-Nasen-Bedeckung vor. „Ansonsten ist es in Florida sehr entspannt“, sagt der Gitarrist. „Viele US-Amerikaner aus anderen Bundesstaaten kommen hierher, um wieder grundlegende Freiheiten zu genießen.“ Der Andrang mache sich in den Gastronomiebetrieben bemerkbar. Gut für Krengel. Mit den Freiheiten nimmt allmählich auch die Kulturbranche Fahrt auf.

Neue Gigs

Anders als in Deutschland bieten sich in Florida vielversprechende Auftrittsmöglichkeiten. Krengel sucht sie in Jazz-Clubs oder Gastronomiebetrieben, wo regelmäßig Jam-Sessions stattfinden. Auf solchen Veranstaltungen können Musiker auf sich Aufmerksam machen, sich vernetzen und Kooperationsprojekte aushandeln. Das macht auch der Gitarrist aus dem Rheinland. Der Erfolg bleibt nicht aus. Zusammen und mit Unterstützung  seiner langjährigen Kollegin Olivera, einer aus Deutschland stammenden Sängerin, die in Florida lebt, konnte er erste Gigs in Duo spielen und mit zahlreichen lokalen Musikern jammen. Zwischendurch musizierte er auch mit Grössen wie Jeanine Macadams Nesbit und Marilyn Maingart. Mittlerweile arbeitet er sogar mit einem Agenten zusammen, der ihm Auftritte vermittelt. „Der Terminplan füllt sich“, sagt er erfreut.

Wer in diesen verrückten Zeiten als Künstler überleben will, muss kreativ sein – nicht nur in seiner Kunst, sondern auch in der Gestaltung seiner Lebenswelt. André Krengel zeigt, wie es geht. Der Gitarrist lässt sich nicht entmutigen. Er spielt weiter auf seinem Instrument und folgt seinem Freiheitsdrang. Dafür wird er belohnt – mit neuen Projekten und Bekanntschaften.

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