«Radio Emergency» – Ein Independent-Sender spricht Klartext

Wer das Radio einschaltet, hört meist nur offizielle Narrative. Dabei handelt es sich meist nicht um die öffentliche, sondern eher um die veröffentlichte Meinung. Ein qualitativer Unterschied zwischen den großen Sendern lässt sich schwer feststellen, weshalb der Verdacht aufkommt, dass sie in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Wenn Tacheles geredet wird, dann jenseits des Mainstreams. Diese Aufgabe übernehmen kleinere Independent-Akteure – sowie «Radio Emergency». Der Sender, gegründet im Dezember 2011, feiert demnächst sein zehnjähriges Jubiläum. Als er startete, ging es noch hauptsächlich darum, die Hörer mit guter Musik zu versorgen und sie mit kommerzieller Werbung zu verschonen. Diesem Motto ist man bis heute treu geblieben, doch das Programm hat sich stark gewandelt.

„In den ersten Jahren lief bei uns viel Heavy Metal“, sagt DJ Bagga. Er ist einer der Mitgründer und schon lange im Geschäft. Seine Liebe zur Musik drückt sich darin aus, dass er schon vor 35 Jahren in seiner Heimatstadt Braunschweig auflegte. Der heutige Moderator betätigte sich aber nicht nur als DJ, sondern spielte auch in einer Hard-Rock-Band. Das Faible für härtere Töne machte sich dann im Aufbau des eigenen Radio-Senders bemerkbar. Punk, Grunge und Heavy Metal bestimmten das Programm, und die Sendungen trugen so schillernde Namen wie «Aufwachraum», «HNO», «Schockraum» oder «Nachtschwester». Zum Vorschein kommt diese Krankenhaus-Metaphorik bereits in dem Namen des Senders, der auf der Begriffsebene an die Anfangszeit erinnert.

Ein breites Spektrum

Während er weiterhin zur Markenbildung beiträgt, sind jene Sendungen aus dem Programm verschwunden. Es war einfach zu metallastig. „Irgendwann konnten wir unseren eigenen Sender nicht mehr hören“, erinnert sich DJ Bagga. Also trennte man sich um 2013 herum von fünf Moderatoren und startete neu durch. Heute deckt «Radio Emergency» ein breites Spektrum ab. Abgesehen von Volksmusik und Schlager ist so gut wie jedes Genre vertreten. Auf Ausgewogenheit achtet auch DJ Bagga. Er moderiert täglich von 10.00 bis 13.00 Uhr die «Morningshow», in der nicht nur Musik gespielt, sondern auch Meldungen vorgetragen werden. Es handelt sich dabei um aktuelle Themen, die im Mainstream keine Erwähnung finden. Um die nötigen Informationen zu bekommen, studiert das Urgestein die Kanäle sozialer Medien. Besonders beliebt ist der Dienst Telegram, der anders als beispielsweise Facebook oder YouTube nicht auf das Mittel der Zensur zurückgreift.

DJ Bagga

Mehr geredet wurde bei «Radio Emergency» ungefähr ab 2014, als die Moderatoren Frank Stoner und Amok Alex zum Team stießen. Die beiden stellten eine Talk-Show nach US-amerikanischem Vorbild auf die Beine, in der brisante Themen zur Sprache kamen – heiße Eisen, an die sich der Mainstream nicht herantraute. Die Sendung erhielt großen Zuspruch. Bis heute gilt sie als die erfolgreichste in der «Radio Emergency»-Geschichte, obwohl diese Talk-Show schon lange nicht mehr existiert. Dafür gibt es neue, unter anderem das «Re-Café». In der Sendung treffen sich mehrere Moderatoren sonntags zwischen 16.00 und 19.00 Uhr zum virtuellen Kaffeeklatsch, um über Gott und die Welt zu reden. Manchmal werden auch Gäste eingeladen. DJ Bagga ist natürlich immer dabei.

Der «Radio Emergency»-Veteran gilt als einer der Fleißigsten im Team. Neben der «Morningshow» moderiert er auch noch den «Live Club». Das Format ist in Reaktion auf die Corona-Maßnahmen entstanden, mit denen Konzerte für längere Zeit ausfielen. Das bedrückte vor allem die Musikfans, wie viele Zuschriften zeigen, die den Sender erreichen. Um ihnen zumindest eine Alternative zu bieten, hat DJ Bagga den «Live Club» aus dem Boden gestampft. In dieser Sendung spielt er montags von 18.00 bis 20.00 Uhr ausschließlich Live-Alben und versorgt die Hörer mit Informationen rund um die Bands, während aktuelle Meldungen ausbleiben. Am Mittwochabend moderiert er zudem das Format «Bagga-TV», bei dem die Musikwünsche der eigenen Community im Vordergrund stehen. „Das Programm wird komplett von den Hörern gestaltet“, sagt er. „Ihre Präferenzen können sie in einer Wunschbox abgeben, die man auf der Homepage findet.“

Nähe zur Community

Vor knapp zwei Jahren musste das «Radio Emergency»-Team einen harten Schicksalsschlag verkraften. Deggel, ein Mitglied der ersten Stunde, war überraschend an einem Herzversagen gestorben. Der Sender trauert bis heute und hat an dem Verlust schwer zu kauen. Das gilt vor allem für DJ Bagga, den mit Deggel eine enge Freundschaft verband. Solche Schicksalsschläge können die Stimmung im Team trüben – genauso wie zwischenmenschliche Querelen, die es natürlich auch gibt. Um interne Probleme human zu lösen, haben die Moderatoren 2019 einen Verein gegründet, den «Radio Emergency e.V.». Als Vorsitzende fungiert derzeit Aquamarin, die sich in ihrer eigenen Sendung am Freitagabend mit Literatur beschäftigt.

Zur Teambildung tragen auch die jährlichen Camptreffen bei. Zu ihnen werden nicht nur die Moderatoren, sondern auch die Hörer eingeladen. Früher fanden sie an einem einzigen Wochenende statt. Später hat man sich dafür mehrere Tage genommen. In dieser Zeit finden Vorträge und Lesungen statt. Es wird gegrillt und ausgelassen geplaudert. Das Ziel besteht darin, eine schöne Zeit zu verbringen und einander besser kennenzulernen. Die enge Beziehung zu seiner Community ist dem Sender sehr wichtig. Das drückt sich nicht nur bei solchen Camptreffen aus, sondern auch im Programm.

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6 Gedanken zu “«Radio Emergency» – Ein Independent-Sender spricht Klartext

  1. Ein sehr sympathischer Sender und es gibt sogar einen Chat, in dem sich alle untereinander austauschen können ~ man ist dann irgendwie „zusammener“ 🙂

  2. Liebe den Sender seit knapp drei Jahren und habe mittlerweile auch schon mehrere Hörer und Moderatoren persönlich getroffen. So macht Radio (wieder) Spaß.
    Vielen Dank für den schönen Beitrag, der sich wohltuend von der Masse abhebt.

  3. Hihi, ja! Schöner Artikel, toller Sender! Ich kam mit der Amok Alex & Frank Stoner Show. Unglaublich wie früh die beiden schon aufklärerisch tätig waren. Und die Tradition wird bei Radio Emergency immer noch hoch gehalten. Kommt in den Chat, dort trifft man echte Menschen. Danke Eugen!

  4. Auch ich hab Ihre Seite nur über andere Links gefunden (oder darf man noch „Querlinks“ sagen?) und möchte mich für Ihr Engagement herzlich bedanken.
    Wir brauchen genau solche Aufdecker & Mutmacher wie Sie – mehr denn je !!!

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