André Krengel – Gitarren-Soli für die Freiheit

In blauen Jeans und einem grauen Sakko betritt André Krengel am 26. September die Bühne der «Querdenken»-Demonstration auf der Deutzer Werft in Köln. Die Farbe seiner Oberbekleidung passt gut zum Wetter. Der Himmel ist wolkenverhangen, und es regnet in Strömen. Es gibt wahrlich bessere Tage, um für seine Grundrechte zu demonstrieren. Trotzdem sind rund 2.000 Teilnehmer gekommen. André Krengel begrüßt sie mit warmen Worten und erklärt, inwiefern die Corona-Maßnahmen ihn als Künstler getroffen haben.

Eigentlich sollte der Gitarrist in diesem Jahr auf eine Schottland-Tournee gehen und mehrere Konzerte in Kanada und Indien spielen. „Alles wurde abgesagt“, sagt er wehmütig. Nach dieser Entscheidung sei ihm sogar die Lust an der Gitarre vergangen. Als er dann aber die ersten Proteste mitbekam, fasste er wieder Mut und wollte seinen Beitrag dazu leisten. An diesem regnerischen Tag, auch das passt zum Wetter, performt er ein Stück, das traurig anfängt, mit der Zeit aber immer beseelter und kraftvoller wird. In ihm drückt sich die Beharrlichkeit der Demonstranten aus, die einen langen Atem und viel Kraft brauchen, um die Freiheitsrechte zurückzugewinnen. Seine Wirkung verfehlt das Solo nicht: Die Menge tobt und fühlt sich erbaut.

Der Auftritt in Köln war nicht sein einziger auf einer «Querdenken»-Veranstaltung. Seit Wochen tourt André Krengel von Stadt zu Stadt und heizt die Menge mit seiner Gitarren-Kunst an. Dabei sind solche Darbietungen nicht sein Metier. Normalerweise spielt er unter konzertanten Bedingungen, bei denen die Gäste sitzen und intensiv zuhören. Keine Jubelschreie, kein Tanzen und Wippen – und wenn, dann gemäßigter als bei Auftritten vor einem stehenden Publikum. 

Wanderer zwischen Kulturen

Es ist schon lange her, dass der Gitarrist in einer solch speziellen Atmosphäre auf seinem Instrument spielte. Dabei hat André Krengel in seiner über dreißig Jahre langen Karriere viel erlebt: Er gab alleine zwischen 2015 und 2016 mehr als 100 Konzerte in USA, Kanada und Großbritannien. Er lebte längere Zeit in Spanien und Miami, jammte mit Künstlern aus aller Welt und arbeitete mit Koryphäen wie dem Inder Pandit Ranajit Sengupta, der Basslegende Carles Benavent (Miles Davis, Paco de Lucia) oder den Rockern von Lynyrd Skynyrd («Sweet home Alabama») zusammen. 

André Krengel

Die Presse nennt ihn gerne den «Wanderer zwischen den Kulturen». Diese Bezeichnung sei treffend, findet der gebürtige Rheinländer, weil er sich als Brückenbauer verstehe, der nicht nur Kulturen, sondern auch Musikstile verbinde. Mit seinem Bandprojekt «André Krengel Acoustic Embassy» sah sich der Gitarrist seit der Gründung 2004 in der Rolle eines „Musikdiplomaten“, der über alle (musikalischen) Grenzen hinweg fusioniert.

Tatsächlich lässt sich der Gitarrist musikalisch nicht einordnen. Seine Stücke enthalten viele Improvisationen, wechseln zwischen verschiedenen Stilen und enthalten Elemente aus Jazz, Latin, Flamenco, Ambient oder Bossa Nova. Er ist ein Tausendsassa, ein gitarristischer Alleskönner, virtuos und gewandt. Seine Spezialität liegt darin, elektronische Sounds akustisch zu imitieren. 

Diese Vorliebe entstammt seiner ablehnenden Haltung gegenüber digitalen Formen. Wie viele seiner Generation ist André Krengel nicht mit Laptop, Smartphone und Facebook aufgewachsen, sondern machte seine Lebenserfahrungen in einer größtenteils analogen Welt. „Handgemacht hat einfach die besondere Qualität des hier und jetzt“, sagt er. „Es ist jeden Abend etwas anderes, immer neu in Wechselwirkung mit Publikum und Atmosphäre. Ein elektronisches Sample hingegen ist immer gleich und interagiert nicht.“

Skepsis gegenüber der Digitalisierung

In der Kindheit ließ er sich von klassischer Musik inspirieren und begriff, welch wunderschöne Töne man aus Handinstrumenten herausholen kann. Kurze Zeit später brachte er sich im Alter von 15 Jahren das Gitarrenspiel bei. Als die Digitalisierung in der Musik fortzuschreiten begann, wollte er dieser Entwicklung mit akustischem Sound entgegenwirken – allerdings nicht ablehnend, sondern verbindend. So nahm er beispielsweise Techno- und House-Stücke auf und übertrug dabei die elektronischen Effekte auf seine Gitarre, so dass sich kaum ein Unterschied zwischen Original und Imitation erkennen ließ. Diesen Kunstgriff führte André Krengel im Rahmen seines Projekts «Clubphonia» vor, als er durch das Nachtleben tingelte und mit seiner Show klassische Musik, Pop und Partyatmosphäre vereinte.

Seine Skepsis gegenüber der Digitalisierung verstärkte sich im Laufe der Corona-Politik. Der Gitarrist sah die Entwicklung bereits vor dem Lockdown kritisch, weil „die Technologien nicht mehr frei sind“, sagt er. „Es werden zunehmend Daten gesammelt, und wir werden nicht einmal gefragt.“ Es würden bloß Technologien entwickelt, die dem Markt helfen. Ihm fehle dabei die humanistische Entwicklung: „Wir sollten uns wieder auf die Fähigkeit der Menschen besinnen“, so der Gitarrist. Das ist einer der Gründe, warum er sich an den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen beteiligt. „Mit ihnen treibt man die digitale Kontrolle weiter voran“, beklagt sich der Musiker. „Freiheit war schon immer sehr wichtig für mich. Ich will sie nicht dauerhaft verlieren.“

André Krengel mit seinem tierischen Freund Rocko

Bevor André Krengel das erste Mal auf der Bühne einer «Querdenken»-Kundgebung stand, mischte er sich als Demonstrant unter die Leute – einige Male auch mit seinem tierischen Freund und Begleiter «Rocko», einem weißen Kakadu. Anfang Mai organisierte er sogar mit mehreren Musiker-Kollegen einen Künstlerspaziergang in Düsseldorf. Reibungsfrei verlief diese Aktion nicht. Die Behörden legten der Gruppe Steine in den Weg, die Leitmedien berichteten abwertend. 

Neue Projekte

Aufgeben will der Gitarrist aber nicht, zumal er sich wundert, warum der Großteil der Künstler schweigt, obwohl die Corona-Maßnahmen sie besonders hart treffen. Inzwischen hat er sich auf den Demonstrationen unter anderem mit den zwei talentierten Newcomer-Sängern Daniel Igwe («Liebeslied an die Antifa») und Jamin («Für unsere Kinder») zusammengetan und fördert sie sowohl live als auch im Studio.

Enttäuscht zeigt er sich vor allem von der Initiative «#AlarmstufeRot», die bloß für Finanzhilfen demonstriert und sich von der Querdenken-Bewegung abgrenzt, sie sogar als „Covidioten“ bezeichnet – obwohl sie auch für die Rechte der Künstler kämpft. Trotz dieser Enttäuschung bleibt André Krengel seinem Credo treu: Er will Menschen unterschiedlicher Couleur und Meinungen verbinden. Er will eine Brücke bauen und plant einen gemeinsamen Protest mit «#AlarmstufeRot», Partyveranstaltern, «Querdenken», Gastronomen und der Initiative «Stumme Künstler». „Eine Demokratie muss verschiedene Meinungen aushalten können“, sagt der Gitarrist. „Die Corona-Krise trifft uns alle hart. Aber gemeinsam schaffen wir es.“

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