Eigentlich ist Alexander Tuschinski als Filmemacher bekannt. Zuletzt sorgte er mit «Flüstern und Lachen» sowie «Statue of Liberty» für Aufmerksamkeit, mit zwei Dokumentationen, in denen jeweils ein kritischer Künstler während der Corona-Krise porträtiert wird. Nur wenige wussten jedoch, dass Tuschinski in dieser Zeit die Maßnahmen-Politik und ihre gesellschaftlichen Folgen nicht nur cineastisch verarbeitete, sondern auch musikalisch. Das Ergebnis präsentierte er vor wenigen Tagen, in einem Album, das in digitaler Form auf allen bekannten Streaming-Plattformen erhältlich ist – unter anderem als Deluxe-Fassung samt Making-of. «Cut Squares» heißt es und bündelt elf Lieder in sowohl deutscher als auch englischer Sprache.
Der Wechsel in ein anderes Kunst-Genre kommt nicht so überraschend, wie einige vermuten dürften. Der 35-Jährige aus Stuttgart ist schon so lange musikalisch aktiv, wie er Filme macht. Da Tuschinski deren Produktion immer in die eigenen Hände nimmt und alle Gewerke selber beisteuert, übernimmt er auch das Sound-Design. Über die Jahre habe er immer wieder Filmmusik komponiert, sagt der vielseitige Künstler, oder Songs mit meist satirischem Touch. Daraus sind sogar einige Alben entstanden. «Cut Squares» stellt dennoch ein Debüt dar. Es ist nicht nur sein erstes Konzeptalbum, sondern enthält auch ausschließlich ernste Lieder.
Wortspiel mit dem Titel
Bei dem Titel handelt es sich um ein Wortspiel. Zum einen ist es ein Begriff aus der Philatelie. Als „cut square“ bezeichnet man einen Ausschnitt aus einem Brief, der dann entsteht, wenn die Briefmarke aus dem Umschlag geschnitten wird. „Square“ ist zudem die englische Bezeichnung für „Spießer“. Diese letzte Bedeutung führt thematisch zum Inhalt des Albums. Tuschinski verarbeitet darin die vielen unschönen Ereignisse während der Corona-Zeit und somit auch die Ausgrenzung der Ungeimpten, an der sich seiner Meinung nach viele Spießer beteiligt haben.
Dieser ausgeprägten Konformität und Staatshörigkeit widmet der Stuttgarter in «Cut Squares» eine kritische Betrachtung, verpackt sie aber in einen unkonventionellen Sound, der bisweilen sehr experimentell wirkt. Percussion-Geräusche, Akkordeon, Keyboard, Klavier und Bongo-Trommeln werden so arrangiert, dass einerseits die deprimierende Stimmung der tristen Corona-Zeit zum Vorschein kommt und andererseits eine Dissonanz entsteht, in der sich die Spaltung der Gesellschaft, ja sogar das Ungleichgewicht des eigenen Ichs spiegelt. Hinzu kommt ein Sprachgesang mit einem Wispern, das eine eigene Handschrift erkennen lässt.
Von Hilflosigkeit zur Erschütterung
Er habe in dem Album seine Emotionen verarbeitet, so der Künstler. Wie so viele Menschen in Deutschland fühlte er zunächst Hilflosigkeit, insbesondere als Ungeimpfte vom sozialen Leben ausgeschlossen wurden. Später wich sie einem Gefühl der Erschütterung, was allerdings weniger mit der Corona-Politik als mit der allgemeinen Kriegsbegeisterung zusammenhängt. Die Reaktion auf den Ausbruch des Konflikts zwischen Russland und Ukraine wühlte ihn genauso auf wie die vorherige Unterstützung der Zwangsmaßnahmen, zumal sich darin die gleichen Muster zeigten. Deswegen konzipierte Tuschinski «Cut Squares» als ein Album, das thematisch zwei Seiten hat.
Wäre es eine Schallplatte, könnten die Hörer sie jeweils umdrehen, je nachdem, ob sie einer musikalischen Auseinandersetzung mit der Corona-Politik oder mit dem Ukraine-Krieg lauschen wollten. Wer das Album von Anfang bis Ende hört, stellt jedoch schnell fest, dass darin eine Geschichte erzählt wird. „Das lyrische Ich“, erklärt Tuschinski, „bricht gemeinsam mit jemandem aus einer depressiven Situation aus und trifft Gleichgesinnte, die ähnlich fühlen.“ In der Mitte kommt es mit dem Stück «Dose of Freedom» zu einem Wendepunkt, ganz im Stile eines Filmemachers. Plötzlich richtet sich der Fokus weg vom eigenen Land hin zu anderen Staaten. „Von da an wird es ein Anti-Kriegsalbum“, so Tuschinski.
Anti-Kriegssongs
Spielt «Dose of Freedom» noch metaphorisch mit dem Begriff Freiheit, die gleichsam wie das mRNA-Vakzin injiziert wird, verarbeitet der Song «The Way» aus der ersten Hälfte eine Art Liebesgeschichte, in der das Lyrische Ich mit einer anderen Person aus einer misslichen Lage ausbricht. Die Anspielungen auf die Corona-Zeit sind offensichtlich, so auch in dem Lied «Let’s Go to the Place», obwohl Tuschinski es schon 2015 geschrieben hat. Allerdings passt der Inhalt treffend zum Schicksal, das viele Bürger knapp sieben Jahre später ereilen sollte. Es geht um den Ausschluss aus der Gesellschaft ohne eigenes Verschulden. Untermalt wird diese Geschichte mit einer emotionalen Melodie, die genauso tief berührt wie das rein instrumentale Stück «Transition».
In «Sie Will Uns Nur Das Beste» arbeitet Tuschinski hingegen mit Wiederholungen, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass der Krieg – entgegen dem offiziellen Mantra – unerwünscht ist. Ein Song trägt ihn sogar im Titel. Wie sich ein Krieg in der Realität auswirkt, erläutert Tuschinski darin fast schon wie Remarque in seinem Klassiker «Im Westen nichts Neues» – nur fragmentierter. Den Schlusspunkt setzt «Let’s Run Away Like Bonnie …», ein Song, der anhand des Stoffs um das bekannte US-amerikanische Verbrecherduo quasi alle vorherigen Grundmotive noch einmal zusammenführt.