«Der stille Tanz» – Melancholisch-energisches Album des kritischen Musikers Lüül

Der Berliner Gitarrist und Sänger Lüül hat ein neues Album herausgebracht. «Der stille Tanz» heißt es und entführt die Hörer in eine Klangwelt, die Melancholie genauso versprüht wie energiegeladene Lebensfreude. Garniert wird der Sound mit eloquenten Versen. Mal kommen sie kritisch daher, mal ganz weich in einem elegischen Ton, der sanft ins Ohr dringt – so wie der Song «Die Welt hält an». Veröffentlicht hat ihn Lüül kurz nach dem ersten Lockdown 2020, als das öffentliche Leben komplett heruntergefahren wurde. In treffenden Worten fängt der Berliner die damalige Stimmung ein, ohne noch große Kritik zu üben. „Die Welt steht still – alles ist stumm“, beginnt das Stück ganz deskriptiv. „Keiner spielt rum – die Welt steht still / Nur der Vogel singt – Also ob nichts wär / Die Straßen leer – Und unbeschwingt / Der Vogel singt – Die Welt steht still.“

Gleichwohl finden sich im Song Formulierungen, die verraten, dass Lüül der Corona-Politik schon damals nicht ganz traute. „Die Pest ist da – Die Welt hält an“, heißt es etwas ironisch in Anlehnung auf die medial aufgeblähte Gefahr. Weitaus deutlicher wurde der Gitarrist und Sänger ein Jahr später, als sein Lied «Ich bin die freie Rede» erschien. Darin setzt er sich mit dem schleichenden Verlust der Meinungsfreiheit auseinander. Die freie Rede tritt als Subjekt auf und erzählt ihre Lebensgeschichte, die man gut aus der Unterhaltungsbranche kennt, wo Stars nach einem Höhenflug tief fallen: „Ich bin die Freie Rede – wie hat man mich geliebt / Wie hat man mich gefeiert – war stolz, dass es mich gibt / Ich kam groß raus – auf Youtube, meiner Bleibe / Facebook, Twitter, Instagram – für Texte die ich schreibe / Peu á peu klaute man – mir die schönsten Worte / Reden ging dann immer mehr – nur noch mit Eskorte / Freunde blieben weg – kehrten mir den Rücken / Sagten mir, ich rede Dreck – ich solle mich verdrücken.“

Album «Der stille Tanz»

In dem metaphernreichen Song verarbeitet Lüül die Erfahrungen eines Künstlers, der sich mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden erklärt und dafür angefeindet wird. Wie diese Diffamierung in der Praxis aussieht, konnte man nach der Aktion #allesdichtmachen beobachten. «Ich bin die freie Rede» trifft den Puls der Zeit. Das Lied verweist auf Entwicklungen, die in die falsche Richtung gehen. Es ist Sozialkritik in kunstvoller Sprache – bissig, klagend, aber auch trotzig. Mit den gesellschaftlichen Verhältnissen im Zuge der Corona-Politik setzt sich auch das Lied «Verbrannte Erde» auseinander – wieder im elegischen Ton. Schwermütig wird darüber berichtet, wie so manche Freundschaft zerbrochen und das Weltbild zerbröckelt ist. Der Text wirkt wie Trümmerliteratur, nur vertont und musikalisch so aufgepeppt, dass Blasinstrumente und Schlagzeug trotz der traurigen Message zum Nicken animieren.

Schwermut und Optimismus

In vielen Stücken schwingt Weltschmerz mit. Lüül drückt ihn mit Würde aus, ohne in Kitsch abzurutschen. Seine rauchige Stimme verleiht den Songs atmosphärische Tiefe, lässt sie wie Momentaufnahmen wirken, die ein dominantes Gefühl hervorheben. Dieser Eindruck stellt sich selbst dann ein, wenn der Gesang fehlt. «Elegie», nomen est omen, stützt sich allein auf die Kraft der Instrumente und fällt dadurch umso sinnlicher aus. Das Stück trifft «Mitten ins Herz», wie es ein anderer Titel auf dem Album ausdrückt, der sich jedoch um eine Berliner Liebesgeschichte dreht. Neben schwermütigen Liedern gibt es auch solche, die Optimismus verbreiten und das Leben in vollen Zügen feiern. «Love Peace Beat» ist so ein Stück. Während es zum Anpacken animiert, frönt «Fahr, Johnny, Fahr», in klassischer «Easy Rider»-Manier dem Freiheitsdrang. Der Song weckt Sommergefühle und macht den Süden zu einem Sehnsuchtsort, wo die Erfüllung wartet.

Schwermütig, aber auch lebensbejahend: «Der stille Tanz» changiert zwischen diesen Polen, ohne überschwänglich zu sein. Das Album kommt gut ohne spektakuläre Effekte aus und entfaltet seine Qualität in der lässigen Art, mit der gegenwärtigen Krisensituation umzugehen. Es steckt viel Lebenserfahrung in dem Werk, das geprägt ist von der langen Musikkarriere Lüüls. Der Gitarrist und Sänger hat schon mit Bands wie Agitation Free und Ashra zusammengearbeitet. Seit Beginn der Corona-Politik kooperiert er zunehmend mit kritischen Künstlern wie Jens Fischer Rodrian. Sein neues Album macht den Protest hörbar, manchmal direkt, manchmal eher unterschwellig. Wer sich auf den «stillen Tanz» einlässt, wird nicht nur Trost, sondern auch neue Kraft finden.

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