«Der Spinswitcher» – Ein Dystopie-Thriller mit erstaunlichen Parallelen zur Gegenwart

„Selbst in den Staaten, die für sich in Anspruch nehmen, demokratisch zu sein, machen die Regierenden grundsätzlich das Gegenteil von dem, was die Leute gerne hätten.“ Dieser Satz stammt nicht aus irgendeiner Telegram-Gruppe, sondern aus Matthias Töpfers Roman «Der Spinswitcher». Obwohl das Werk bereits 2015 auf den Markt kam, wirkt es, als wäre es während der Corona-Krise geschrieben worden. Es geht um Massenüberwachung und die Abschaffung des Bargelds, um digitale Kontrolle mithilfe von Apps und den latenten Verlust von Freiheit – um Themen, die vor 2020 noch unter dem Radar liefen, seit der Corona-Politik aber zunehmend in das kollektive Bewusstsein dringen.

In seinem Dystopie-Thriller entwirft Töpfer eine Welt, die „der unseren zum Verwechseln ähnlich ist“, heißt es im Klappentext. Es ist eine Welt, in der die Regierungen sämtliche Daten über ihre Bürger sammeln, sie ausspähen und genau im Blick behalten. Sie setzen auf Satelliten, Drohnen, Überwachungskameras oder Hochleistungsmikrophone. Sie lassen autonome Insektenrobots ausschwärmen, damit diese Leute ausspionieren, die sich vom Internet fernhalten. Wer keine sozialen Netzwerke nutzt, keine Kurznachrichten oder E-Mails verschickt und so gut wie nie telefoniert, macht sich verdächtig und muss damit rechnen, dass die staatlichen Behörden eingreifen. Es ist eine Welt, in der Freiheit zu einem knappen Gut geworden ist. Ein Wissenschaftler will jedoch Abhilfe schaffen.

Wünsch-dir-was-Apps

Der australische Gehirnforscher Aldo Effetti setzt sich mit einem Algorithmus auseinander, der sowohl das Schicksal als auch die Materie beeinflussen könnte. Das bleibt nicht unbemerkt. Schon bald gerät er ins Fadenkreuz einer unbekannten Organisation und muss flüchten, um nicht hinter Gittern oder gar im Jenseits zu landen. Von einem Tag auf den anderen gerät sein Leben aus den Fugen. Es beginnt ein Abenteuer, das den Gehirnforscher nach London führt, wo er unter neuer Identität sogenannte Wünsch-dir-was-Apps programmiert. Mit ihnen sollen die Menschen gesellschaftliche und persönliche Bedingungen schaffen, unter denen sie wirklich leben wollen. Dass die Sicherheitsdienste den gerissenen Wissenschaftler deswegen jagen, ist nach der Logik dieses Roman-Genres absehbar. Ob es ihnen gelingt, hängt aber auch von der Sorgfalt ab, mit der Aldo seine Pläne umsetzt.

Matthias Töpfer

Dessen Abenteuer erzählt Töpfer mit leichter Feder. Der Ton bleibt trotz der Ernsthaftigkeit des Plots überwiegend heiter. Es ist viel Ironie dabei, die der Autor so streut, dass die Sozialkritik dadurch an Schärfe gewinnt. Die Figuren leben zwar in einem totalitären Staat, lassen sich aber die Lebensfreude nicht nehmen – am allerwenigsten der Held selbst. Er erscheint als jemand, der dem Irrsinn mit Humor begegnet und keine Schwierigkeiten hat, Frauen anzuziehen. Stilistisch zieht Töpfer dabei alle Register. Er wechselt von der auktorialen zur personalen Erzählperspektive, baut innere Monologe ein und kreiert lebhafte Dialoge, in denen die Figuren weitere Konturen bekommen.

Seherische Gaben

Mit seinem Roman beweist der Autor, dass er nicht nur über eine enorme Einbildungskraft verfügt, sondern auch über seherische Qualitäten. An vielen Stellen muss man sich einfach die Augen reiben – so aktuell wirken die geschilderten Ereignisse. Das gilt zum Beispiel für Passagen, in denen von „friedlichen Demonstrationen gegen die Interessen der Mächtigen“ die Rede ist. So sollen „im richtigen Moment“, wie es heißt, „aggressive Querulanten auftauchen; vorzugsweise solche, denen die Presse politischen Extremismus unterstellen kann; unliebsame Oppositionspolitiker soll ein krasser, möglichst schlüpfriger Skandal ereilen, wer Kritik an einer Regierung übt oder gar an einem Konzern, dem sollen die Einreise ins Land, der Bezug eines Produktes oder die Teilnahme an einer Veranstaltung verweigert werden können.“

Überraschend treffsicher erweisen sich auch die Schilderungen der Zensurmaßnahmen, mit denen in den sozialen Medien versucht wird, Kritiker zum Schweigen zu bringen: „Das Sammeln von Informationen über die politische Gesinnung einzelner Personen oder Gruppen verkaufte man dem Stimmvieh als Garant für Frieden und Freiheit. Die, die das glaubten, nahmen auch hin, dass verdeckt arbeitende Behörden in der Lage waren, die Bevölkerung selektiv zu beeinflussen, indem sie kritische Kommentare bei Face2Friends löschten oder eigenmächtig änderten.“ Was in dem 2015 erschienen Roman beschrieben wird, ist heute bereits Realität – zumindest in Teilen. Das Timing hätte besser nicht ausfallen können. Die Geschichte spielt in den Jahren 2022 bis 2024. Bleibt zu hoffen, dass die Überschneidungen rudimentär bleiben.

Kulturjournalismus braucht deine Hilfe!

Wer meine Arbeit unterstützen möchte, kann es via Überweisung oder Paypal tun. Herzlichen Dank!

Überweisung:

IBAN: DE85 1203 0000 1033 9733 04
Verwendungszweck: Spende

Spende via Paypal

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert