«WAHLEN» – Eine Doku über strukturelle Probleme des politischen Systems

Bis zu den Bundestagswahlen ist es nicht weit. Aber wie wirkungsvoll sind sie? Wird es einen Regierungswechsel geben? Haben die Bürger wirklich die Möglichkeit, mit ihrer Stimme eine Änderung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen? Nicht wenige Wähler haben daran große Zweifel. Seit Jahrzehnten beobachten sie, dass sowohl die Ungleichheit als auch die Ungerechtigkeit immer größer werden, unabhängig davon, welche Parteien die Regierungskoalition bilden. Dementsprechend gering fällt mittlerweile die Bereitschaft aus, sich an demokratischen Prozessen aktiv zu beteiligen. Eine zweiteilige Dokumentation greift diese Politikverdrossenheit auf und versucht zu klären, wo deren Ursachen liegen.

«WAHLEN», so der schlichte Titel, setzt sich mit dem derzeitigen politischen System Deutschlands auseinander, verzichtet dabei aber auf Dramaturgie und Szenenwechsel. Der auf PantaRay erhältliche Film besteht zum großen Teil aus Interviews namhafter Intellektuellen, die vor einem schwarzen Hintergrund ihre Sicht auf die Dinge darlegen. Zu Wort kommen bekannte Publizisten, Soziologen und Politologen. Es ist die Crème de la Crème der Systemkritiker – Daniele Ganser, Paul Schreyer, Daniela Dahn oder Ernst Wolff. Sie analysieren die politischen Strukturen, weisen auf die Mängel hin und formulieren Ideen, wie sich gewisse Probleme zumindest im Ansatz lösen ließen. Der Friedensforscher Daniele Ganser etwa hält es für sinnvoller, nicht eine einzige Partei zu wählen, sondern die jeweiligen Politiker. Mit Apps und anderen digitalen Technologien sei das heute bereits möglich. Die Volksvertreter müssten sich dann nach ihrer Leistung messen lassen, was dazu führen würde, dass sie stärker dem Allgemeinwohl dienen.

Paul Schreyer liefert hingegen eine interessante Erklärung dafür, warum sich Wahlen als Illusion einer Veränderung entpuppen. Der Publizist erinnert an eine Studie, die die Bundesregierung selbst in Auftrag gegeben hat. Aus ihr geht hervor, dass der politische Wille von rund 90 Prozent der Bevölkerung keine Übereinstimmungen aufweist mit den Entscheidungen, die getroffen werden. Die Wünsche von Arm und Reich divergieren vor allem in den Bereichen Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Selbst die Mittelschicht finde sich in den Entscheidungen größtenteils nicht wieder, so Schreyer. Das Problem sei eine zu große Konzentration von Eigentum, die eine Demokratie nicht möglich mache. Politik, so lässt sich daraus schließen, wird hauptsächlich für die vermögende Klasse gemacht. Das politische System kommt einer Oligarchie näher als der Demokratie.

Wunsch nach souveräner Demokratie

Für Daniela Dahn ist das keine neue Erkenntnis. „Eine ideale Demokratie hat es nie gegeben“, sagt die Publizistin im Interview. „Sie hatte immer oligarchische Züge.“ Ohne Zweifel gebe es strukturelle Fehler. Allerdings interessiere sich dafür niemand, wenn es vielen gut gehe. „Aber sobald sich das ändert, merkt man die Defizite der Demokratie“, so Dahn. „In einer solchen Phase sind wir im Moment.“ Einen nicht weniger interessanten Gedanken teilt der Publizist Christian Felber. Er erinnert daran, dass das Volk als eigentlicher Souverän lediglich alle paar Jahre wählen darf, ohne in der Zwischenzeit die Möglichkeit zu haben, die Vertreter zu korrigieren. Deswegen würde er diesen Souverän gerne zur vierten Staatsgewalt ermächtigen – zur „verfassungsgebenden Konstitutive“. Das wäre der anstehende Entwicklungsschritt nach Montesquieu und Rosseau. „Souveräne Demokratie“ nennt Felber dieses Modell.

Während diese Experten sprechen, erklingt im Hintergrund emotionale Musik. Sie schafft eine gewisse Balance zum intellektuellen Inhalt der Interviews – genauso wie einige gestellte Szenen, die dazu dienen, eine nachdenkliche Stimmung zu erzeugen. Zwischendurch meldet sich ein Erzähler zu Wort und leitet mit geistreichen Zitaten die vielen Themen rund um Wahlen ein. Hier und da werden sie sogar ohne dessen Kommentar eingeblendet. Ein besonders treffendes stammt von Albert Einstein: „Das Problem zu erkennen, ist wichtiger, als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung.“

Die Dokumentation ist ein reich gedeckter Tisch an klugen Aussagen. Sie regt zum Nachdenken an und legt den Finger in die Wunde. Große Veränderungen sind nach der Wahl nicht zu erwarten. So viel macht der Film deutlich. Er ermutigt die Zuschauer aber, sich mit den strukturellen Problemen intensiver auseinanderzusetzen und nach Wegen zu suchen, wie sich das politische System verbessern ließe.

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