3. Dezember 2024

Familiendrama «Freiheit» – Vom Ausbruch aus dem eigenen Leben

Was ist Freiheit? Die Bücher sind voll von verschiedenen Definitionen. Welche der eigenen Vorstellung am ehesten entspricht, müssen alle selbst entscheiden. Eines steht jedoch fest: Der Wunsch nach mehr Freiheit kommt immer wieder auf, vor allem wenn man sich in der eigenen Lebenswelt festgefahren fühlt. In dieser Situation befindet sich die Protagonistin des 2018 erschienen Dramas «Freiheit». Nora (Johanna Wokalek), eine Berliner Anwältin, verlässt eines Tages ohne Vorankündigung Mann und Kinder. Zu groß ist ihr Verlangen nach Freiheit, das sie schließlich querbeet durch Europa führt. Was sie auf dieser Reise erlebt, lässt sich mit Abenteuern vergleichen, die aus ähnlichen Filmen bekannt sind: kurze Liebschaften, feuchtfröhliche Abende, wechselnde Jobs.

Während Nora sich unter falscher Identität immer mehr in eine Odyssee verstrickt, versucht ihr Mann Philip (Hans-Jochen Wagner) zu Hause die Familie zusammenzuhalten. Unter den neuen Bedingungen fällt ihm das zunehmend schwer, zumal ihn quälende Fragen plagen. Ist Nora etwas zugestoßen? Kommt sie jemals zurück? Philips Verunsicherung steigert sich ins Unermessliche. Und auch die Kinder müssen zunächst damit zurechtkommen, dass ihre Mutter von einem Tag auf den anderen verschwunden ist. Das Familiengefüge gerät nach und nach auseinander.

Wer sich in sozialen Beziehungen zu viele Freiheiten nimmt, schränkt diejenigen anderer ein. Diese Dialektik hat keiner schöner beschrieben als der Philosoph Max Horkheimer: „Je mehr Freiheit, desto weniger Sicherheit“, sagte er einst. Während Nora mehr Freiheiten genießt, verspürt Philip nach ihrem Verschwinden weniger Sicherheit. Allerdings öffnen sich auch ihm neue Freiheiten, weil er stärker seine heimliche Affäre ausleben kann. Dass das weitere Probleme mit sich bringt, ist nur vorhersehbar.

Zwischen Empathie und entfremdeter Distanz

Die Konflikte rund um den Wert der Freiheit bilden den Kern des Films. Er erzählt sie gleichsam meditativ, in ruhigen Bildern und mit viel Feingefühl. Die Wirkung des Dramas ist auch dem Spiel der Protagonistin zu verdanken. „Die Balance einer Darstellung zwischen mitfühlender Empathie und entfremdeter Distanz ist das Verdienst der großartigen Johanna Wokalek“, schrieb die Jury der deutschen Film- und Medienbewertung. Sie habe ihre Figur mit den sich wandelnden Identitäten und Namen bedingungslos intensiv verkörpert. Dem kann man nur zustimmen, genauso wie dem Lob an Regisseur Jan Speckenbach. Er habe intensiv und auf ganz eigene originelle Weise mit Licht und Farbe gearbeitet, mit Symbolen, Nahaufnahmen und Projektionen, um das Gefühlsleben seiner Protagonisten filmisch zu spiegeln. Dramaturgisch erfindet Speckenbach das Rad nicht neu, demonstriert ab, dass er sein Handwerk beherrscht.

Woher Noras Ausbruchswunsch herrührt, erzählt der Film in der letzten halben Stunde. Speckenbach nimmt sich viel Zeit für die Vorgeschichte und zeigt in einer Charakterstudie, welche Mechanismen das Fass in einer Ehe zum Überlaufen bringen. Ob die Protagonistin zu ihrer Familie zurückkehrt, lässt der Film offen. Glücklich macht sie der Trip jedenfalls nicht. Sie bleibt bis zum Schluss getrieben, von einer Vorstellung, die so diffus ist wie jeder Freiheitsbegriff.

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