«Verhängnisvolle Freundschaft» – Ein Buch über die Vergehen und imperialen Praktiken der USA

Die Geschichtsbücher sind voll von US-amerikanischen Heldentaten. Wer sie aufschlägt,
könnte den Eindruck bekommen, „The Land of the Free“ wäre ohne Fehl und Tadel.
Befreiungskriege, demokratische Errungenschaften und zivilisatorische Durchbrüche –
Meisterleistungen, wohin man nur blickt. Gerade die gutgläubigen Europäer bewundern den
„großen Bruder“ jenseits des Atlantiks ehrfürchtig. Was die meisten jedoch nicht wissen: Die
USA haben einiges auf dem Kerbholz, und das nicht erst seit 9/11. Nach der
Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 verfielen sie in einen Blutrausch und
machten den bewaffneten Konflikt zum großen Geschäft. Diesen Werdegang hat der Publizist
Werner Rügemer nun in seinem neuen Buch nachgezeichnet.

«Verhängnisvolle Freundschaft», so der vielsagende Titel, präsentiert Fakten, die in den
gängigen Geschichtsbüchern gerne ausgelassen werden. Mit historischer Sorgfalt schließt
Rügemer den US-amerikanischen Keller auf, in dem sich die Leichen nur so stapeln. Auf
knapp 300 Seiten trägt er die Vergehen und Verbrechen der heutigen Weltmacht zusammen
und erinnert daran, dass die USA seit 1776 ganze 222 von 239 Jahren im Krieg waren.
Allerdings ist es nicht nur für Amerikas Feinde gefährlich, auch dessen Freunde haben wenig
zu Lachen. „Die USA haben zwar ein formell festgelegtes Staatsgebiet. Aber sie unterwerfen,
durchdringen neue Territorien und Staaten im Zangengriff von Kapital und Militär, je nach
Möglichkeit mit eigenen Hocheitsrechten“, schreibt Rügemer gleich zu Beginn. Nach dieser
Methode gingen die USA zunächst in Nordamerika, danach in Lateinamerika und schließlich
in Europa vor.

Mächtiger als die jeweilige nationale Regierung

Wie die Formen der Entstaatlichung anderer Staaten aussehen, erklärt der Autor so:
„Konzerne gründen Niederlassungen, werden mächtiger als die jeweilige nationale
Regierung“ und „praktizieren eigene Arbeits- und Steuerrechte“. Oder es würden dauerhafte
Militärstützpunkte betrieben, „die nicht den nationalen Gesetzen der betroffenen Staaten
unterliegen“. Die Instrumentalisierung von Befreiungs- und Oppositionsbewegungen gehöre

ebenfalls zum Arsenal der Entstaatlichungstechniken – sowie die Förderung von
einheimischen Oligarchen-Clans und die Organisation von Putschen und Diktaturen. Die
Liste perfider Praktiken ist lang, sodass Rügemer seine Leser im sarkastischen Ton bei Laune
halten muss: „Es könnte langweilig erscheinen, alle die einschlägigen Verbrechen von God’s
own Country aufzuzählen. Aber die USA hatten sich zu einem Wiederholungstäter mit
mehreren Varianten ihres Grundmusters herausgebildet.“

Seine Darstellung der US-amerikanischen Missetaten verbindet Rügemer mit würziger
Kapitalismuskritik, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht. In Big Money,
also den Wall-Street-Banken und mächtigen internationalen Konzernen, sieht er auch die
eigentliche Macht. Es ist nicht nur Kern des Unwesens, sondern auch der Schalter und Walter
der Geopolitik. Rügemer spricht von einer „Kapital-Demokratie“. Nicht die Regierung
reguliere das private Business, sondern das private Business steuere den Staat: „Die
kapitalistischen Privateigentümer, jedenfalls deren organisierte Führung, nutzen den
parlamentarischen Staat und sein Militär, um ihre Gewinne zu steigern und abzusichern und
sich zugleich gegen die von ihnen selbst verursachten Profitausfälle – ‚Wirtschafts- oder
Bankenkrisen‘ – gegen Wettbewerber, gegen demokratische Ansprüche der Bevölkerung und
gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten zu schützen.“

Amerikas Rolle im Ersten und Zweiten Weltkrieg

Welchen Einfluss die „US-Kapitalisten“ auf die Politik seit dem 19. Jahrhundert haben,
veranschaulicht der Autor anhand des Ersten und Zweiten Weltkrieges, als die Vereinigten
Staaten von Amerika zur Weltmacht aufstiegen. Diese Passagen bilden das Herzstück des
Buches und können aufgrund der brisanten Informationen mit Fug und Recht als Meilenstein
moderner Geschichtsschreibung bezeichnet werden. Rügemer belegt mit gut recherchierten
Quellen, wie die Wall-Street-Banker im Ersten Weltkrieg den US-Präsidenten Woodrow
Wilson vor sich hertrieben. Während er damals eigentlich die Neutralität der USA
beschworen und zwischen den europäischen Kriegsgegnern einen Verständigungsfrieden
gefordert habe, heißt es an einer Stelle, sei das große Kapital nicht derart pazifistisch
eingestellt gewesen. Die Banken und großen Konzerne „zogen sofort in den europäischen
Krieg, finanziell und wirtschaftlich“.

Ihr Kalkül soll darin bestanden haben, den Handel auf Märkte auszuweiten, die Europa in der
Hitze des Gefechts aufgeben musste. Dabei seien die Konfliktparteien gegeneinander
ausgespielt worden. Die „US-Kapitalisten“, wird aus Rügemers Ausführungen deutlich, bot
dort Unterstützung an, wo es ökonomisch opportun erschien – auch während des Zweiten
Weltkrieg, als die US-amerikanische Finanz- und Wirtschaftselite mit Hitler und dessen
Verbündeten zusammenarbeitete. Dabei verfolgten sie ein Geschäftsmodell, dass sie schon
früher in der Zeit nach dem Bürgerkrieg zu Hause entdeckt hatten: den Wiederaufbau. „Wenn
andere Gebiete und Länder möglichst weitgehend zerstört werden, durch eigene oder fremde
Operationen, und wenn sich dabei der (Stellvertreter-)Krieg noch in die Länge zieht“, lautet
eine prägnante Passage, „dann wird der Wiederaufbau für den Sieger umso lukrativer.
Seitdem ist reconstruction (Wiederaufbau) ein Geschäftsmodell. Die US-Akteure werden das
auch im und nach dem 2. Weltkrieg und späteren Kriegen ‚erfolgreich‘ durchziehen.“

Imperialistischer Werkzeugkasten

Wenn Rügemer diese Zusammenhänge erläutert, streift er immer wieder die zu jener Zeit
aufgebaute PR-Maschinerie. Mit ihr, so die Kernthese, gelingt es bis heute „US-inszenierte
Legenden“ so erfolgreich in die Welt zu setzen, dass sie sich selbst in der offiziellen
Geschichtsschreibung festsetzen. Dabei handelt es sich um eine bewährte Praktik aus dem
imperialistischen Werkzeugkasten, dessen sich die USA auf dem Schachbrett der Geopolitik
immer wieder bedienen. Am Ende seines Buches stellt der Autor das ganze Instrumentarium
vor. Die USA, schreibt er, geben zum Beispiel gerne das eigene Handeln als das Handeln
einer anderen Partei aus. Sie leugnen und vertuschen die Folgen ihrer Operationen; sie leisten
keine Entschädigungen für schwerste Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen; oder
sie töten gezielt Zivilpersonen im Zuge der Kriegsführung. Und bei Kriegsverbrechen
genießen ihre Präsidenten, Generäle, Bank- und Konzernchefs immer Straflosigkeit.

Die wohl größte Gefahr im 21. Jahrhundert sieht Rügemer in einem zugespitzten, nationalen
„System- und Klassenkonflikt“. Er gehe von den USA aus und zeige sich unter anderem in
„working poor und working sick“ bei den abhängig Beschäftigten; in Dauerkrankheiten,
inneren Kündigungen und in der Altersarmut; in der Dauerarbeitslosigkeit und erzwungener
Unterbeschäftigung; in zerrissenen Familien und in immer mehr Waisenkindern; in
Obdachlosigkeit, Vereinsamungen und Drogenabhängigkeiten; in Selbstzerstörung,
Selbstmorden auch bei Jugendlichen und in sinkender Lebenserwartung – auch in der „weißen

Mehrheitsbevölkerung“ und in der Mittelschichten. Diese Phänomene seien zunächst in den
USA zu systemischen Dauerfolgen geworden, griffen aber allmählich auch auf die EU über:
„Die Bildungs-, Wissenschafts-, Verkehrs-, Energie-, Nahrungsmittel- und
Gesundheitssysteme werden so teuer und asozial wie in den USA.“

Mit «Verhängnisvolle Freundschaft» hat Werner Rügemer ein kluges wie bissiges Buch
geschrieben. Darin legt er schonungslos offen, was das Wesen der USA aus- und es so
gefährlich macht. Er beleuchtet die Schattenseiten der vermeintlichen Vorzeigedemokratie
und liefert Denkanstöße, die darauf abzielen, nicht nur auf der geopolitischen Bühne genauer
hinzuschauen, sondern auch die gegenwärtige Form des Kapitalismus zu überdenken. Wenn
es zum Normalzustand geworden ist, dass das große Geld die (geo)-politischen Prozesse
bestimmt, kann die Demokratie nur durch eine grundlegende Reform gerettet werden.

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