Kunst aus der Dunkelheit – Maler Axel Neumann bringt mentale Bilder auf Papier

Was macht künstlerische Werke so einzigartig? Woher nehmen ihre Schöpfer die Ideen? Wo liegen die Quellen für Inspiration und Schaffenskraft? Diese Fragen beschäftigen Gelehrte wie Laien seit der Antike. Wer sich die Kunsthistorie anschaut, findet die verblüffendsten Geschichten. Ein gutes Beispiel aus der Gegenwart ist der Maler Axel Neumann, dessen Werke auf einer existenziellen Erfahrung vor mehreren Jahren beruhen. 1992 sperrte er sich in seiner licht- und schallisolierten Wohnung für drei Wochen ein, um seine Schauspielfähigkeiten auszubauen. Damals war Neumann noch kein Maler, sondern stand überwiegend auf der Theaterbühne. Doch dieses Erlebnis sollte seiner künstlerischen Karriere eine andere Richtung geben.

Der isolationsbedingte Sinnesentzug löste bei ihm hyperrealistische mentale Visionen aus, die er seitdem unermüdlich auf Bildern materialisiert. Dafür hat er eine eigene Maltechnik entwickelt. Neumann arbeitet mit einem Füller, trägt mit ihm aber keine Tinte auf, sondern Acrylfarbe. Das ist ein innovativer Ansatz, zu dem der in Berlin lebende Künstler erst über Trial and Error kam. Zunächst versuchte er es mit einem Pinsel, merkte aber schnell, dass seine Visionen auf diese Weise nicht zu realisieren waren. Dann griff er Füller und Tinte, die jedoch mit der Zeit verblasste. Der gewünschte Effekt stellte sich erst ein, als Neumann auf die Idee kam, die Patronen mit Acrylfarbe zu füllen. Seitdem entwickeln seine Bilder eine beinahe mystische Aura, die Betrachter vor allem dann spüren, wenn sie vor den Originalen stehen. In ihnen offenbart sich etwas Archaisches und Zeitloses, etwas, was ganz tief in der menschlichen Seele sedimentiert ist – Gefühle, Ahnungen, Vorstellungen.

Warum zeitigen Neumanns Bilder diese Effekte? Was ist ihr Geheimnis? Das lässt sich nur damit erklären, dass er innere Strukturen abbildet, die nur in einem anderen Bewusstseinszustand wahrnehmbar werden. Er habe sich damals drei, vier Tage vorbereitet, erzählt der Künstler in der kurzen Dokumentation «The Art of Darkness», die sich dem ungewöhnlichen Entstehungsprozess seiner Arbeit widmet. „Ich habe versucht hier in der Dunkelheit, irgendwas – keine Ahnung – zu finden“, sagt er. „Ich weiß aber nicht, ob ich was gefunden habe. Ich weiß nur, irgendetwas ist passiert. Was es ist, keine Ahnung.“ So diffus das Gefundene erscheinen mag, als sicher gilt jedoch, dass er die während der Isolationszeit erschienen mentalen Bilder abarbeiten muss. Neumann malt von morgens bis abends, im Durchschnitt 15 bis 18 Stunden am Tag. „Jedes gemalte Bild verschafft ihm Erleichterung“, sagt seine Frau und Kuratorin Patrizia. Es sei eine innere Notwendigkeit, die sich aus seiner Berufung als Künstler ergebe.

Bis zu 50 Meter großen Symphonien

Über 1.000 Werke sollen mittlerweile entstanden sein. Viele weitere werden folgen, obwohl Neumann das Repertoire als unerschöpflich bezeichnet. Er habe im Kopf mehr Bilder, als er im Leben malen kann, sagt der Künstler. Die bisher entstandenen Werke haben keine Titel und variieren in der Größe. Viele von ihnen weisen ein Format von 100 x 70 cm auf. Andere erstrecken sich auf einer Fläche von 3 x 5 Metern. Es gibt aber auch monumentale Bilder, die zuweilen bis zu 40 Meter groß werden. Neumann nennt sie „Symphonien“ und bezieht sich dabei auf Michelangelo, auf den der folgende Spruch zurückgeht: „Musik und Malerei sind Geschwister“. Nach seiner Isolationserfahrung sei ihm erst Wochen später klar geworden, was er da gemacht habe, sagt der Künstler in dem kurzen Dokumentarfilm. „Wenn ich intensive Farben gesehen habe, habe ich plötzlich Töne gehört.“

Patrizia und Axel Neumann / Foto: Dominque Maes

Warum seine Bilder keine Titel tragen, erklärt Neumann damit, dass sie den Betrachter sofort in eine Richtung lenken. „Es soll die Farbe wirken“, sagt er. „Es sollen die Töne wirken.“ Mit Worten ist seinen Werken kaum beizukommen. Sie lassen sich nur schwer beschreiben und kategorisieren. Sie passen weder in die abstrakte noch in die gegenständliche Kunst, sondern bewegen sich irgendwo dazwischen. Neumann malt die Bilder mit Millionen feinster Striche, die den Eindruck erzeugen, dass sich auf der Oberfläche reliefartige Formen auftun. Wer aber genau hinschaut, merkt den bloßen Effekt. Diese Erfahrung können Kunstliebhaber in der Zeit zwischen April und Oktober 2023 in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern machen, wo Neumanns Bilder sechs Monate lang auf einer Fläche von 300 Quadratmetern ausgestellt werden. Dann erklingen die Farb-Symphonien in all ihrer Pracht und werden den Betrachtern möglicherweise den Weg zu dem Ort weisen, wo ihr Ursprung liegt.

Titelbild: Atelier Neumann

Kulturjournalismus braucht deine Hilfe!

Wer meine Arbeit unterstützen möchte, kann es via Überweisung oder Paypal tun. Herzlichen Dank!

Überweisung:

IBAN: DE85 1203 0000 1033 9733 04
Verwendungszweck: Spende

Spende via Paypal

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert