Fotoprojekt unterstützt Familien mit russischer Zuwanderungsgeschichte

Seit Moskaus Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 erleben Menschen mit russischer Zuwanderungsgeschichte in Deutschland sowohl Ausgrenzung als auch Gewalt. Sie werden beleidigt, bespuckt und drangsaliert. Allein in den ersten sechs Wochen sollen 367 Straftaten gegenüber „russischen Menschen“ gemeldet worden sein. Das Feindbild aus dem Kalten Krieg erlebt eine Renaissance. „Dabei kann die russische Bevölkerung nichts dafür, was die Regierung im Kreml so entscheidet“, sagt die Fotografin Ulrike Reinker. Um die diskriminierten Menschen in Deutschland zu unterstützen, hat sie ein Kunstprojekt gestartet. „The Russians love their children too“ heißt es und soll Familien mit russischer Zuwanderungsgeschichte ein Gesicht geben.

Den Anstoß für die Foto-Reihe gab die einseitige Berichterstattung, in der alle Russen als Barbaren dargestellt wurden. „Wie konnte es so weit kommen, dass wir einer gesamten Volksgruppe das Menschliche absprechen“, fragt Reinker, die ihre Motivation mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn begründet. Als Schlüsselerlebnis bezeichnet sie einen Vorfall, bei dem eine russischstämmige Frau die Tür mit Fäkalien beschmiert wurde. „Ich war schockiert“, so die Fotografin. Ihr wurde klar, dass die einfachen Menschen in diesem geopolitischen Konflikt die eigentlichen Opfer seien. „Sie kommen nicht zu Wort und werden auch nicht gesehen. Daher wollte ich sie zeigen.“ Reinker porträtiert überwiegend Familien, die in Nordrhein-Westfalen leben. Die Fotografien entstehen meist in häuslicher Umgebung. „Der Hintergrund soll etwas über die Menschen erzählen“, erklärt sie. „Die Wohnungseinrichtung ist auch schon eine Aussage und dient der Identifizierung.“

Angst, offen zu reden

Am Ende sollen acht bis zehn Familien porträtiert werden – mit jeweils bis zu zwei Bildern. Die Hälfte des Ziels habe sie bereits erreicht, so Reinker. Allerdings gestalte sich das Projekt schwieriger als gedacht. Ursprünglich wollte sie die Familien nicht nur fotografieren, sondern auch interviewen und danach fragen, wie sie sich seit dem 24. Februar 2022 in Deutschland fühlen, welche Konflikte sie im Alltag erleben oder ob sie den Krieg als den ihren empfinden. Anschließend wollte Reinker die Porträts mit griffigen Zitaten versehen. Von dieser Idee ist die Fotografin aus Düsseldorf mittlerweile abgerückt, weil sie gemerkt hatte, dass viele sich damit schwertun, öffentliche Aussagen zu machen. Die Gründe seien vielfältig: „Sie haben Angst, ihren Job zu verlieren, diffamiert zu werden oder ihre Verwandten und Bekannten in der Ukraine zu brüskieren“, gibt die Fotografin ihre Erfahrungen wieder.

Überzeichnete Darstellung/Foto: Ulrike Reinker

Sie habe ihr Konzept daher ein wenig überarbeitet: Auf der Ausstellung soll lediglich eine Audio-Datei mit Aussagen abgespielt werden. „Wenn sie anonymisiert werden, trauen sie sich, offener zu reden.“ Bei den Porträts setzt Reinker auf Authentizität. Die Aufnahmen sollen natürlich wirken, auch wenn sie gestellt sind. Ein Foto wurde komplett überzeichnet inszeniert – mit deutschen (Laien)-Schauspielern. Das Bild zeigt die gängigen Zuschreibungen und Vorurteile gegenüber russischstämmigen Menschen um diese ironisch zu brechen, Zuschreibungen, die in so mancher Vorstellung existieren, aber nicht in Wirklichkeit. Auf dem Bild sind Wodka-Flaschen, Trachten und ein Wandporträt von Stalin zu sehen. Es zeigt plakativ überspitzt, wie sich die deutsche Bevölkerung den „Russen“ vorstellt. „Dieses Bild soll auch ausgestellt werden und im Kontrast zur Wirklichkeit, also den echten Porträts, stehen“, erklärt Reinker. Auf diese Art und Weise will die Fotografien Vorurteile gegenüber der russischen Bevölkerung abbauen und dazu beitragen, dass die Diskriminierung aufhört.

Die Ausstellung wird wohl in Köln stattfinden – dank einer Stiftung, die ihre Räume zur Verfügung stellt. Allerdings steht das Projekt noch vor großen finanziellen Herausforderungen. Weil die Exponate auf ein Format von 100 cm x 150 cm gebracht werden sollen, fällt die Realisierung teuer aus. „Ich muss mit Materialkosten zwischen 12.000 und 13.000 Euro rechnen“, sagt die Künstlerin. Um Profit gehe es ihr dabei nicht. Sie wolle sich mit dem Projekt lediglich sozial engagieren. Bislang habe sie lediglich ein Drittel der Gesamtkosten auftreiben können und würde sich über weitere finanzielle Unterstützung freuen. Die Deutschen, sagt Reinker, sollen die Menschen mit russischer Zuwanderungsgeschichte verstehen. „Sie sollen ihre Seite der Wahrheit erfahren und diese aushalten, damit auch sie in unserer pluralistischen, liberalen Gesellschaft Raum findet.“

Titelbild: Ulrike Reinker

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