«Seine Exzellenz der Android» – Hochaktueller Roman zur KI- und Transhumanismus-Forschung

ChatGPT, Künstliche Intelligenz, Transhumanismus: Der Mensch gibt seine Souveränität zunehmend an Programme und Roboter ab. 2014 veranschaulichte bereits Alex Garlands Film «Ex Machina», in welche Richtung es geht: Das künstlich intelligente Geschöpf emanzipiert sich von seinem Schöpfer und macht sich die Menschen auf der allegorischen Ebene untertan. Diese Idee ist nicht neu und reicht bis in das Jahr 1907 zurück, als der Wissenschaftsjournalist Leo Silberstein unter dem Pseudonym den Science-Fiction-Roman «Seine Exzellenz der Android» veröffentlichte. Der Westend Verlag hat ihn nun aufgrund der Aktualität neu aufgelegt.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der geniale Physiker und Ingenieur Frithjof Andersen, der einen vollkommenen Androiden konstruiert. Unzählige, ineinandergreifende, mechanische, chemisch-physikalische und mathematische Operationen machen es möglich, dass ihn alle für einen echten Menschen halten. Er reagiert auf bestimmte Stichworte und ist in der Lage, Konversationselemente vorzutragen, sodass der Eindruck entsteht, es handele sich um selbstständig entwickelte Ansichten eines Individuums. Die Ausarbeitung dieser Qualitäten stellt für den genialen Wissenschaftler kein wirkliches Problem dar. Wenn er den Eingeweihten die Funktions- und Wirkungsweise dieser Programmierung erläutert, schimmert darin ein satirisches Menschenbild durch: „Jeder Durchschnittsmensch besitzt eine Anzahl von Ideen, eine beschränkte Zahl; die variiert er nach Belieben.“

Nur 20 leitende Grundideen

Der Mensch ist gar nicht so komplex, wie allgemein angenommen, so Andersen, der an einer anderen Stelle zu einem weiteren Seitenhieb ansetzt: „Je weniger Ideen ein Mensch hat und je ausschließlicher und intensiver er sich diesen wenigen widmet, desto mehr ist er Persönlichkeit, desto mehr Hervorragendes wird er leisten. Es ist also nichts einfacher, als einem Automaten vier oder sechs oder sagen wir 20 leitende Grundideen zu geben.“ Nicht nur die Art und Weise, wie Menschen sprechen und denken, berücksichtigt der Wissenschaftler bei der Erschaffung seines Androiden, sondern auch deren Gefühlswelt und Verhaltensformen: „Schweigen und Lächeln, das ist der Haupttrick! Und mein Automat ist damit reichlich ausgestattet: Schweigen und Lächeln!“

Dieser satirische Ton zieht sich durch den gesamten Roman und macht die Lektüre zu einem Vergnügen, was nicht nur an den witzigen Dialogen und kauzigen Figuren, sondern auch an der originellen Handlung liegt. Der Android büxt schließlich aus, als er alle Fähigkeiten erlangt, um in der Gesellschaft sein Unwesen zu treiben. Dazu kommt es schneller, als es seinem Schöpfer lieb ist: Der menschliche Automat macht rasant Karriere als Großindustrieller, wird vom König zum Minister ernannt und beginnt schließlich, einen Krieg vorzubereiten. Da erkennt Andersen, welches Unheil er mit seiner wissenschaftlichen Arbeit angerichtet hat.

Zu der gleichen Erkenntnis kam erst kürzlich der US-Unternehmer Elon Musk, der öffentlichkeitswirksam einen Stopp der KI-Forschung gefordert hat. Welche Gefahren darin lauern, demonstriert Gilberts Roman auf eindrückliche wie spielerische Weise. Er zeitigt einen Katharsis-Effekt, sorgt aber auch für angemessene Unterhaltung. Nebenbei baut der Autor herrliche Passagen ein, die wirken, als würde er das heutige Klima in Deutschland kommentieren. „Hoch oben sind Verbrechen, Dummheiten, Tollpatschigkeiten – Erfolge, Ruhmestitel, eintägige Unsterblichkeiten“, beschreibt Gilbert eine der weiblichen Figuren, die nicht glauben kann, dass die politische Obrigkeit jene Charakteristika aufweist. „Sie griff in ihrer Verzweiflung trostsuchend zu einem regierungsfreundlichen Blatte, ihrem Leibblatte, und sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen.“ Besser kann man den heutigen Konformismus des größten Teils der Gesellschaft nicht zum Ausdruck bringen.

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