Doku «Pre-Crime» – Kritischer Blick auf den digitalisierten Sicherheitswahn

Die noch immer andauernde Krise wurde dazu genutzt, die analoge Welt ein Stück weiter zu transformieren. Die Organisation gesellschaftlichen Lebens basiert mehr und mehr auf Algorithmen, die komplexe soziale Prozesse steuern. Das Ziel sei die absolute Sicherheit, heißt es. Im Zuge der Corona-Krise wurde das stets betont, wenn es darum galt, neue digitale Kontrollmöglichkeiten wie die Corona-App oder den Grünen Impfpass einzuführen. Aber umso mehr Sicherheit, desto weniger Freiheit. Mit diesem Aspekt beschäftigt sich die Dokumentation «Pre-Crime». Sie nimmt einen aktuellen Trend unter die Lupe, der in dem Film «Minority Report» aus dem Jahr 2002 noch als wilde Science-Fiction daherkam: die Vorhersage von Verbrechen.

Was damals unvorstellbar schien, ist heute bereits Realität. Mehrere Softwares machen es mithilfe von Algorithmen möglich, eine strafbare Handlung zu vereiteln, noch bevor sie geschieht. Das hört sich zunächst sehr positiv an, erweist sich bei näherer Betrachtung aber als überaus zweifelhaft, ja sogar als gefährlich, wie die Dokumentation vor Augen führt. «Pre-Crime», zu sehen auf dem Streaming-Dienst PantaRay, nimmt die Zuschauer auf eine Reise durch die intransparente Welt des Big Data, stellt die neuesten Technologien vor und lässt Menschen zu Wort kommen, die täglich mit ihr arbeiten oder zu Opfern dieser Art von Verbrechensbekämpfung wurden. Im Mittelpunkt steht die Methode «Predictive Policing», die auf der Ansammlung und Speicherung persönlicher Daten beruht. Wer digitale Spuren hinterlässt, füttert zugleich den Polizeicomputer – und kann so schnell zum Zielobjekt werden.

Wie in einem Kafka-Roman

Anhand verschiedener Daten filtert das System Leute heraus, auf die sich die Verfolgungsbehörden schließlich konzentrieren. Welche absurden Züge diese Technologie aber annehmen kann, veranschaulicht die Dokumentation am Beispiel eines US-Amerikaners. Der junge Mann war in der Vergangenheit mit kleineren Delikten wie Marihuana-Besitz oder Glücksspiel aufgefallen. Weil er jedoch in seinem sozialen Umfeld mit Menschen im Zusammenhang steht, die den Daten zufolge Opfer von Gewaltdelikten wurden, kam er auf die Liste und erhielt präventive Besuche von Polizeibeamten. In anderen Fällen soll eine Social-Media-Userin in ihren Posts oftmals das Wort „Rage“ verwendet haben, was sich auf Deutsch mit „Wut“ oder „Zorn“ übersetzen lässt. Auch sie setzte man schnell auf die Beobachtungsliste, obwohl die junge Frage mit „Rage“ das gleichnamige Autospiel gemeint hatte.

Diese Beispiele skizzieren im Ansatz, was passiert, wenn Menschen von Algorithmen ersetzt werden. Was ihnen fehlt, ist Empathie und die ganzheitliche Sicht. Über die Mängel dieser Art von Strafverfolgung sprechen im Film zahlreiche Experten aus dem Sicherheitsapparat. Sie bemängeln zum Beispiel, dass die soziale Dynamik von Kriminalität auf der Strecke bleibt. Die eingesetzte Software dringe nicht zu den Ursachen durch, sondern verwerte ausschließlich nackte Daten. Das mache das System so verworren wie gefährlich. Die beiden Regisseure Monika Hielscher und Matthias Heeder unterstreichen das mit diversen stilistischen Filmmitteln, indem sie nicht nur spannungserzeugende Musik einsetzen, sondern auch ständig Aufnahmen von Kontrollkameras einblenden. Der Polizeiblick wird ästhetisch simuliert – mit Netzdiagrammen, vielen Verbindungslinien und einer computerisierten Tippschrift, die die Gesprächspartner vorstellt.

Warum tun wir uns das an?

Neben den zahlreichen Interviews und nachgespielten Szenen bringt sich ein Erzähler ein, der die Zuschauer thematisch durch den Film führt. Während seine Stimme aus dem Off ertönt, taucht im Bild ein nur schemenhaft sichtbarer Mann auf. Ob er mit dem Erzähler identisch ist, bleibt offen. Er stellt ihn aber offenbar dar und bildet auf einem Block zeichnerisch das ab, was gesagt wird. Dabei kommt immer wieder die Frage auf, warum wir uns solche Technologien antun. Die Impulse, so eine Erklärung, kommen aus dem Bedürfnis nach Wirtschaftswachstum. Und Daten bieten dafür eine lukrative Grundlage. Während Tech-Unternehmen mit ihnen sehr viel Geld verdienen können, genießen User den Komfort einer digitalen Infrastruktur. So entwickeln die vielen Algorithmen und Programme ein Eigenleben, ermöglichen weitere Tools und entkoppeln uns weiter von der analogen Welt.

Aber ist das wirklich alles, fragt noch einmal der Erzähler. Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der es keine Privatsphäre gibt, weil jeder Lebensbereich kontrolliert wird? In so einer Welt wird die Freiheit zu reiner Illusion. Obwohl «Pre-Crime» dieses Problem vor dem Hintergrund der Verbrechungsbekämpfung thematisiert, lässt sich der Film zugleich als ein Kommentar auf die gegenwärtigen Ereignisse rund um Corona verstehen. Er demonstriert, wohin utopische Kontrollszenarien führen, welchen Einfluss sie sowohl auf die Individuen als auch auf das gesellschaftliche Leben haben und schärft den Blick für Probleme, die technische Innovationen mit sich bringen. Vor der Einführung des digitalen Euros ist dieser notwendiger denn je.

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