«Kleptopia» – Investigativjournalist Tom Burgis skizziert das globale Koruptionsnetzwerk

Seit Jahren findet eine gigantische Vermögensumverteilung von unten nach oben statt. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Gut ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt genauso viel wie knapp vier Milliarden Menschen auf der unteren Skala. Wer so viel Vermögen akkumuliert, erwirbt gleichzeitig Macht, was das Streben nach noch mehr Geld weiter in Gang setzt. Der Globus hat sich zu einer einzigen Kleptokratie entwickelt. Das ist die These des britischen Investigativjournalisten Tom Burgis, der in seinem neuen Buch skizziert, wie schmutziges Geld die Welt erobert. «Kleptopia», so der zweideutige Titel, legt die Machenschaften eines globalen Netzwerks offen, in dem Gangster, Oligarchen, Geheimdienste, Finanzinstitute und Regierungen Hand in Hand arbeiten.

Die Geschichte von «Kleptopia» beginnt mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und Burgis erzählt sie im Stil eines Thriller-Romans, der es mit den Werken John le Carrés problemlos aufnehmen kann. Episodenhafte Darstellung, atmosphärische Beschreibungen, dramatischer Aufbau: Der Autor nutzt alle bewährten Stilmittel, um die Verstrickungen der «Kleptokraten» so spannend wie möglich zu schildern. Er verknüpft mehrere Handlungsstränge und lässt ein beachtliches Figurenensemble auflaufen. Wie in jedem guten Thriller gibt es auch hier Pro- und Antagonisten, Gute und Böse, die sich gegenseitig das Leben schwer machen.

Damit die Leser den Überblick nicht verlieren, stellt Burgis die wichtigsten Akteure in einer vorangestellten Liste vor. Wer in sie einen Blick wirft, findet erstaunlich viele Namen aus der östlichen Einflusssphäre: Kasachstans ehemaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, russische Gangster wie Semjon Mogilewitsch oder Finanzleute aus der Sowjetära wie Boris Birshtein. Der Westen wird hingegen von Vertretern mächtiger Institutionen repräsentiert – von Nigel Wilkins zum Beispiel, einem Insider der Finanzbranche, der für seine Enthüllungen sogar von der eigenen Justiz verfolgt wird.

Raub im Osten, Geldwäsche im Westen

Diese Figurenverteilung folgt der Grundaussage des Buches, die Burgis so formuliert: „Das Ende des Kalten Krieges hatte beispiellose Möglichkeiten geschaffen, sich in den Besitz des Vermögens ganzer Länder zu bringen. Von Budapest bis Beijing, von Almaty bis Abuja gab es in den 1990er Jahren einen heftigen Konkurrenzkampf hierum.“ Die Aufgabe, so schreibt er weiter, habe dann darin bestanden, die gestohlenen Reichtümer im Westen in Sicherheit zu bringen. Aber nicht nur: „Der Prozess, durch den man Macht in Geld verwandelt hatte, sollte nun Geld wieder in Macht verwandeln. Damit entstand eine weltweite Kleptokratie.“

So plausibel diese These klingt, so schnell drängt sich während der Lektüre der Verdacht auf, dass diese Erzählung als Rahmen genutzt wird, um politische Gegner des Westens ins schlechte Licht zu rücken. Wem diese Rolle zukommt, ist schon nach wenigen Seiten vorhersehbar: Wladimir Putin. Der russische Präsident gehört in «Kleptopia» eigentlich nicht zu den Hauptakteuren, taucht aber trotzdem immer wieder wie zufällig auf, um sich einen Seitenhieb abzuholen. Ausgeführt werden sie mit Vokabeln, die das westliche Narrativ seit Jahren prägen.

Putin ist der Superschurke schlechthin, neben dem – ein alter Trick der Drehbuchschreiber –sogar geldgierige Unternehmer und Gangster geradezu sympathisch wirken. Während sie als Oligarchen eingeführt werden, tritt Russlands Oberhaupt gleich als Tyrann in Erscheinung, der den Staat selbst zum obersten Oligarchen gemacht und die Staatsmacht in den Dienst seiner privaten Ambitionen gestellt hat: „Putin und seine Diktator-Kollegen in den anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion wollten ihre Kontrolle über die Rohstoffe zur Vergrößerung ihres Einflusses im Ausland benutzen, sei es durch die Ausbeutung von BP, den Börsengang von Bergbauunternehmen in London oder die Unterbindung der Gaszufuhr der Ukraine, wann immer deren Führer zu sehr nach Westen tendierten.“

Voreingenommene Perspektive

Zu politischen Feinden gehören im westlichen Narrativ aber auch Leute aus den eigenen Reihen, solche wie Donald Trump, den Burgis ebenfalls auftreten lässt, um die Legende von der russischen Einmischung in den US-Wahlkampf 2016 mitzuerzählen. Während der Autor sich an diesen verhassten Figuren abarbeitet, stellt sich kritischen Lesern die Frage, warum in der Geschichte von «Kleptopia» eigentlich keine großen Namen aus dem westlichen Establishment auftreten. Über den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und dessen umtriebiges Dienstleistungsunternehmen Halliburton gäbe es sicherlich genügend Informationen, die in Sachen Korruption nicht weniger Sprengkraft haben. Gleiches gilt für die Öl-Geschäfte der Bush-Familie oder, wenn man den Blick auf Deutschland richtet, die Wirecard-Verstrickungen von Bundeskanzler Olaf Scholz. Thriller-tauglich wäre sicherlich auch die Berater-Affäre der aktuell obersten EU-Kommissarin Ursula von der Leyen, die für einen spannungsreichen Handlungsstrang ausreichend Stoff abgeliefert hat.

Die asymmetrische Geschichtserzählung und der tendenziöse Blick auf die weltweite Korruption wirken geradezu verdächtig und werfen die Frage auf, wie viel Dichtung und wie viel Wahrheit Burgis’ romanhafte Darstellung enthält. Aber der Brite wäre kein gerissener Investigativjournalist, hätte er diese Einwände nicht vorausgeahnt. Also wehrt er sie gleich zu Beginn in einer Anmerkung ab – mit den folgenden Worten: „Dies ist eine wahre Geschichte. Sämtliche Tatsachen, aus denen sie sich zusammensetzt, entstammen Interviews oder Dokumenten und werden, wo immer möglich, durch weitere Quellen belegt. Wenn gesagt wird, ein Protagonist habe dies oder jenes gedacht, geschieht dies, weil er diese Gedanken dem Autor mitgeteilt oder sonstwie dokumentiert hat. Allen hier vorkommenden Personen wurde vor der Veröffentlichung dieses Buches die Möglichkeit gegeben, die in ihm dargelegten Fakten zu überprüfen.“

Zweifel an Glaubwürdigkeit

Das klingt zunächst überzeugend. Doch die Glaubwürdigkeit fängt zu bröckeln an, wenn Burgis in eine Welt eintaucht, deren Strukturen den allermeisten Lesern unbekannt sein dürften – die des organisierten Verbrechens in Russland. An einer Stelle etwa beschreibt er sie anhand zweier Figuren und deren Funktionen: „Die schmutzigen Jobs erledigten die vory für sie, tätowierte Verbrecher, die wie Wjatscheslaw Iwankow in den kommunistischen Gulags abgehärtet worden waren. Im Unterschied zu ihnen gehörten ihre Führer, und darunter ganz besonders Michas, zu einem neuen Typ kapitalistischer Verbrecher, nämlich den avtoritet oder Businessgangstern.“ Die erwähnten „vory“ heißen in ihrer vollen Bezeichnung «vory v zakone», was mit «Diebe im Gesetz» übersetzt werden kann. In der Hierarchie der russischen Unterwelt stehen sie, anders als Burgis’ Ausführungen suggerieren, über den sogenannten Autoritäten bzw. „Businessgangstern“ ganz oben und sind die Letzten, die „schmutzige Jobs“ erledigen.

Nun gehören derartige Details wahrlich nicht zum Allgemeinwissen, aber sie sind leicht recherchierbar. Und sie verraten viel über die Arbeit des Autors. Entweder hat er sich von seinen Interviewpartnern einen Bären aufbinden lassen oder es mit den Fakten nicht ganz genau genommen. Wenn Burgis bei solch nachprüfbaren Zusammenhängen schlampig vorging, wie viel Wahrheit steckt dann in seinen Schilderungen von Vorgängen, die im Verborgenen ablaufen? Wurden die Fakten vielleicht ein wenig zugeschnitten, damit sie ins Narrativ passen?

Solche Fragen sorgen zusammen mit der voreingenommenen Erzählperspektive dafür, dass nach der Lektüre ein Rest an Skepsis übrigbleibt. An der Grundaussage ist jedoch wenig auszusetzen: Die Kleptokraten erobern die Welt. In der Corona-Krise wird das deutlicher denn je. Und obwohl Burgis sein Werk bereits zum großen Teil abgeschlossen hatte, als sie losging, findet sich darin trotzdem ein treffender Satz, der die gegenwärtige Tragödie ganz gut zusammenfasst: „Während sie für sich selbst immer mehr Geheimhaltung beanspruchen, zerstören die Kleptokraten die Privatsphäre der restlichen Welt. Covid-19 kam da wie gerufen. Das Virus war der perfekte Vorwand, sich umfassende Vollmachten anzumaßen, den Überwachungsstaat voranzutreiben und die Staatskasse noch unbehelligter von jeder Aufsicht als sonst zu leeren.“

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