Der 2007 verstorbene Ingmar Bergman gilt als einer der einflussreichsten und angesehensten Regisseure der Film- und Theatergeschichte. 1918 in Uppsala geboren, perfektionierte der Schwede sein Handwerk in einem kreativen wie qualvollen Prozess von Höhen und Tiefen. Bearbeitete er anfangs seine Film- und Theaterstoffe noch parallel, widmet er sich zum Schluss seiner Karriere ausschließlich dem cineastischen Metier. Gleichzeitig schrieb er literarische Werke und sogenannte Arbeitstagebücher. Zwischen 1955 und 2001 entstanden so zahlreiche Spiralhefte, in denen Bergman nicht nur erste Entwürfe seiner Geschichten und gedankliche Reflexionen niederschrieb, sondern auch mit sich selbst auseinandersetzte. Nachdem die Arbeitstagebücher zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht geblieben waren, erschien kürzlich im Berenberg Verlag eine Auswahl aus den Heften.
«Ich schreibe Filme», so der Titel, verleiht einen tiefen Einblick in Bergmanns Arbeitsweise, offenbart aber auch Eigenschaften, die ihn als Mensch auszeichneten. Schnell zeigt sich die sensible Natur des Künstlers, eines zweifelnden und manchmal mit sich wie mit der Umwelt hadernden Kreativen. „So ist es. Manchmal, wenn ich mir durchlese, was ich geschrieben habe, den Motiven in ihrer ersten Gestaltung und Sprachform Auge in Auge gegenüberstehe, bin ich vor Widerwillen stocksteif. Und geniere mich“, heißt es in einem Eintrag aus den frühen Jahren. Immer wieder trifft man auf Passagen, in denen der Meister seine lähmende Angst zu verarbeiten versucht und ein Misstrauen gegenüber den eigenen Fähigkeiten durchblicken lässt. Dann präsentiert er sich wieder als optimistischer, hoffnungsvoller Filmemacher, der sich über gelungene Einfälle freut.
Gedankliches Kreisen um den eigenen Schaffensprozess
Für die Wechselhaftigkeit der Stimmung sorgen bisweilen Kollegen und Journalisten. Ihre Kritik wird zur Quelle von Bergmans Selbstzweifeln. Seine Reaktionen fallen bisweilen so schwermütig aus, dass der seelische Schmerz in jedem Wort durchschimmert, mit dem er sich selber zu beruhigen bemüht: „Eins kam zum anderen“, lautet ein prägnanter Eintrag. „Ivar Harrie und John Landqvist haben sich auf die Socken gemacht und mich als reichlich schwachen Autor hingestellt („dilettantische Dialoge“, „schwedischer Meister des Kitsches“ usw.) Ich warte bloß noch, dass die andren Literaturkleinpäpste ihren Kollegen zu Hilfe kommen und mir weiter auf den Schädel hauen. Ja, schwer, aufreibend, manchmal setz ich mich nieder. Klar kriegt man bei all dem Angst.“
Wenn sich das Gemüt wieder lichtet, finden sich in dem Heft gehaltvolle wie originelle Gedanken, die ständig um den eigenen Schaffensprozess kreisen. Bergman beschäftigt sich zum Beispiel mit den Unterschiedenen zwischen Film und Theater. Während das eine Medium gewisse Ausdrucksmöglichkeiten ermögliche, bringe das andere in anderen stilistischen Belangen Vorteile mit sich – und umgekehrt. Es sind poetische Reflexionen, die unter anderem dazu führen, dass der Regisseur sich vornimmt, seinen Stil abzuändern: „Ich muss ein für alle Mal weg vom Dialog, sinnlose Worte und Gedankengänge habe ich satt“, heißt es zum Beispiel.
Lebhafte Naturbeschreibungen
Hin und wieder kommt Bergman von seinen poetologischen Ausführungen ab und flicht klassische Tagebucheinträge ein, besonders zu jener Zeit, als er sich auf die Insel Fårö zurückzieht. Es folgen Naturbeschreibungen in beinahe lyrischem Stil, der die Phänomene in Farbe taucht und ihnen Leben einhaucht: „Wolkenloser Himmel über Färö. Intensives Sonnenlicht. Die Meerwand ist dunkelblau, blau und weiße Gischt. Steifer Westwind bei Eiseskälte, möglicherweise Nordwest.“ So schön die Naturwahrnehmungen aber anmuten, das Leben auf der Insel ist an Begleiterscheinungen gebunden, die auf Dauer unangenehm werden können. Bergman spürt irgendwann die Auswirkungen des Alleinseins und fühlt sich einsam. Mal kann er damit gut umgehen, mal quält er sich über den Tag, nicht ohne in seinem Arbeitsheft niederzuschreiben, worin die Tücken dieses Gefühlszustands liegen.
Liest man diese vielschichtigen Einträge aus knapp fünf Jahrzehnten durch, lassen sich schnell Parallelen zu Bergmans Filmen ziehen, in denen der Regisseur häufig existenzielle Themen thematisierte und sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen auseinandersetzte. In diese meisterhaften Werke ging sein Charakter ein. Sie spiegeln gewissermaßen sein Naturell, das menschliche Dasein philosophisch, aber mit einem Pessimismus zu durchdringen, in dem tiefe Einsicht und Erkenntnis zum Vorschein kommen. Wer Bergmans Filme verstehen will, findet in den Arbeitstagebüchern einen Schatz an Interpretationsansätzen. Der Meister stellt diese Hilfsmittel selber zur Verfügung, obwohl er sicherlich nicht gewollt haben konnte, dass sie die Rezeption steuern. Da die Arbeitstagebücher nun aber veröffentlicht sind, soll ihr Gehalt nicht verschwendet werden, zumal die Einträge bisweilen so schön verfasst sind, als handelte es sich um ein literarisches Werk.