3. Dezember 2024

«Abgetrieben» – Die letzten Rebellen der Punk-Musik

In der DDR der 1980er-Jahre begannen junge Punk-Bands die musikalische Rebellion. Mit harten Tönen und anti-bürgerlicher Attitüde begehrten sie gegen die Staatsmacht auf, stets die Konfrontation suchend, so provokant wie gleichgültig. Wie es damals zuging, veranschaulichte erst kürzlich die Dokumentation über die legendäre Band Schleimkeim aus Thüringen. Deren Gründer Dieter „Otze“ Ehrlich wurde schon zu Lebzeiten eine Kultfigur, nicht zuletzt wegen seiner kompromisslosen Haltung. Die ständigen Schikanen der Polizei konnten ihn genauso wenig brechen wie mehrere Aufenthalte in der Gefängniszelle, obwohl ihn die Stasi vehement als Inoffiziellen Mitarbeiter für sich einzuspannen versuchte. So wurde „Otze“ und seine Band Schleimkeim zum Vorbild vieler ostdeutschen Jugendlichen, die sich der Bevormundung des Staates widersetzten.

Von der damaligen Befindlichkeit sind die heutigen Punk-Bands meilenweit entfernt. Sie sind so zahm geworden wie die einst verhassten Spießbürger. Allerdings nicht erst seit der Corona-Krise, wie Roland Bethge berichten kann. Der heute 65-Jährige ist das einzig übriggebliebene Mitglied einer anderen legendären Punk-Band der DDR-Zeit. Kotzübel hieß sie und trieb ihr Unwesen im Umland von Cottbus. Ihr Markenzeichen waren der sehr expressive Sound und rudimentäre Textzeilen. In ihren Songs brachten sie ihren Frust und ihre Wut zum Ausdruckten. Sie schrien ihre Unzufriedenheit aus dem Hals und gaben zu verstehen, dass sie in jenem DDR-Staat nicht mehr froh werden würden. 

Auftrittsverbot

Die 1984 gegründete Band bestand aus dem Schlagzeuger Norbert Voigt, dem Sänger Jörg Schindler (genannt Pocke) und Bethge, der als Gitarrist bis heute sein Handwerk ausübt, eher aus purer Leidenschaft als beruflich. Mit seinem Instrument hat er sich in den letzten Jahrzehnten durch die Subkultur im Cottbuser Umland gespielt. Wie viele Punk-Bands wurde auch Kotzübel nach einem spektakulären Auftritt mit Pyrotechnik verboten. Gemeinsame Auftritte waren erst einmal nicht möglich, und dann brach auch noch die Band auseinander. Voigt und Schindler starben. Bethge kooperierte daraufhin mit verschiedenen subversiven Bands, von denen immer mehr in diese Sparte drang. Es entstand eine lebhafte Punk-Subkultur, und der Gitarrist war mittendrin, statt nur dabei.

Roland Bethge (M) mit Sohn Niko (l) und Bassist Bruno Stamm

Dann kam die Wende und leitete große Veränderungen ein. Bethge setzte seinen rebellischen und freigeistigen Lebensstil fort, musste jedoch auch harte Seitenhiebe einstecken, die das Leben gelegentlich verpasst. So oft er aber fiel, der Musik ist er bis heute treu geblieben. Im Laufe der Jahre spielte er in diversen Cover- und Kneipen-Bands. Allerdings merkte er schon in den 2010er-Jahren, dass die Punk-Musiker sich zunehmend der bürgerlichen Kultur anpassten, vor allem aber ihren rebellischen Irokesenschnitt in einen konformistischen Seitenscheitel umfrisierten. Mit der Corona-Politik spaltete sich die Szene endgültig. Der Riss ging auch durch Bethges neue Rock-Band, die zu dem Zeitpunkt gut lief.

Während die anderen Mitglieder das vorherrschende Regierungsnarrativ übernahmen, schrieb Bethge den Song «Abgetrieben», einen kritischen Kommentar auf die Anfangszeit der Maßnahmen-Politik. „Es hat so schön gefunkelt“, lautet eine markante Zeile, „Es stand Freiheit drauf / Bunte Perlen, Feuerwasser Marlboro / Goldene Teller, goldener Kamm / Doch am Ende verschlingen die Wellen / Schiffer und Kahn.“ In einer metaphorischen Sprache vermischt Bethge Mythos und Kapitalismuskritik, persifliert die Hoffnungen der einstigen DDR-Bürger und das Freiheitsversprechen Westdeutschlands. Drei Jahre hat es gedauert, bis der Song vertont wurde. Bethge fand drei Musiker, mit denen er ihn aufnahm. Nun ist er auch auf dem Portal Soundcloud abrufbar. Möge er eine breite Hörerschaft finden.

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