Freischaffende Musiker sind derzeit nicht zu beneiden. Aufgrund der harschen Corona-Maßnahmen müssen sie praktisch ein Berufsverbot hinnehmen. Viele Auftritte wurden bereits im letzten Jahr abgesagt. Noch düsterer sehen die Aussichten für 2021 aus. Bislang sieht es nicht danach aus, als könnten schon bald Veranstaltungen stattfinden, wie wir sie vor Corona kannten. Dementsprechend blank liegen die Nerven der Künstler.
Um sie zu beruhigen, hatte das Bundesland Nordrhein-Westfalen bereits im August das Stipendienprogramm «Auf geht’s» ins Leben gerufen, das mit insgesamt 105 Millionen Euro umgesetzt wurde. Rund 14.500 Künstler sollen von diesen Mitteln profitiert haben. Nun verlängert die Landesregierung das Programm und stellt erneut 15.000 Stipendien in Höhe von je 6.000 Euro für den Zeitraum April bis September in Aussicht. Das hört sich auf den ersten Blick vielversprechend an. Doch nicht wenige Künstler zeigen sich skeptisch und bezeichnen die Aktion als eine Nebelkerze. Auf Kritik stößt vor allem die Zweckbindung. Die Mittel sollen „helfen, schon vor der Corona-Pandemie begonnene Projekte zum Abschluss zu bringen, neue Vorhaben zu konzipieren bzw. umzusetzen oder neue Vermittlungsformate zu erproben“, heißt es in der Ausschreibung.
Das Geld muss für Projekte wie „Online-Konzerte“, „Online-Mitmachprojekte“ oder „Recherchearbeiten für künftige Projekte“ verwendet werden, nicht aber für Zwecke, die den Künstlern in der gegenwärtigen Krisensituation weitaus dringlicher erscheinen: Lebensmittel und Miete. „Wir Musiker werden uns jetzt also wieder ein teures MacBook Pro kaufen, welches wir eigentlich nicht brauchen oder die x-te Gitarre“, spitzt es der Liedermacher Alex Olivari zu. Der Kölner kritisiert, dass viele Künstler mit dem Stipendium indirekt dazu gezwungen würden, bei der Beantragung des Stipendiums anzugeben, dass sie ein Album produzieren wollen, obwohl sie noch nie in ihrem Leben einen Song geschrieben haben. Er bezeichnet das Stipendium als „Schweigegeld“.
So sieht es auch der Berliner Rock-Sänger Heilsbringer. Er vermutet, dass die Politik die Macht des Wortes fürchtet, die in der Hand der Künstler und Kreativen liegt. Die Internetaktion #allesdichtmachen hat das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit der Kritik an den Corona-Maßnahmen sorgen die satirischen Schauspielerclips noch nach Tagen für Gesprächsstoff. Das wolle man in den oberen Regierungsetagen offenbar vermeiden, glaubt Heilsbringer. An der Ausgestaltung der Stipendien werde das insofern deutlich, als die geförderten Künstler vorweisen müssen, wofür sie das Geld verwenden.
Sie seien also rechenschaftspflichtig, womit sie auch ein Stück Freiheit verlören. So entstehe ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem Kritik hinderlich sein könnte. „Ein kritischer Künstler kann doch kein Stipendium annehmen und nach außen hin kritisch sein“, sagt Heilbringer. „Denn er riskiert dadurch, vielleicht sein Stipendium zurückzahlen zu müssen.“ Der Rock-Sänger spricht von einer Falle für in Not geratene Künstler, zumal die 6.000 Euro nicht wirklich ausreichten, um die Ausfälle mehrerer Monate zu kompensieren. Besser wäre es, die Künstler wieder arbeiten zu lassen.
Nathalie, Sängerin der Gruppe Alien’s Best Friend, glaubt ebenfalls, dass sich die Künstler längerfristig nicht werden retten können, wenn die Bühnen geschlossen bleiben. Da hälfen auch keine Förderprogramme. „Ohne eine Normalität im Kulturbereich, wird es keine Rettung geben“, sagt sie. Zudem stelle sich die Frage, wie solche Programme auf Dauer finanziert werden sollen. „Wer bezahlt das denn?“, lautet ihre rhetorische Frage. „Doch wieder die Steuerzahler.“ Ohne die natürlichen Gelder, die in die Kulturbranche fließen, ohne dass die Menschen wieder zu Konzerten gehen, seien Künstler dem Untergang geweiht.
Solche Stipendien stellen keine Alternative zum normal funktionierenden Kulturbetrieb dar, da sind sich die drei Musiker einig. Der Großteil der Künstler bekommt von solchen Förderprogrammen ohnehin recht wenig mit. In der Regel begünstigen sie überwiegend eine erlauchte Elite, Leute, die im Kulturbetrieb eine exponierte Stellung haben. Denn man darf nicht vergessen, dass die meisten Künstler sogenannte «ausübenden Künstler» sind: Sprecher, Sänger oder Instrumentalisten. Sie alle können per Definition keinen Content schaffen.