Wer heute literarisch in Erscheinung treten möchte, braucht keine großen Verlage. Das Zauberwort heißt Selfpublishing. Die einfachste Möglichkeit, seine Texte zu publizieren, bietet noch immer Amazon. Dort finden sich hin und wieder Geschichten, die sich durchaus lesen lassen. Zu ihnen gehören die Werke von Negy Klein. Der Berliner Autor hat bislang vier Kurzgeschichten vorgelegt. Meistens handeln sie von Randexistenzen, die in skurrile Situationen geraten.
In «Der Zahlenakrobat» berichtet ein mathematisch begabter Ich-Erzähler von seiner Hingabe zu der Zahl neun. „Ich ging immer um neun ins Bett und stand immer um neun Uhr morgens auf. Geboren bin ich am neunten September. An meinem neunten Geburtstag freute ich mich schon auf den neunundneunzigsten. In der neunten Klasse blieb ich extra neun Mal sitzen. Und ich gestehe: Ich wäre lieber eine Frau. Denn dann könnte ich nach neun Monaten ein Kind gebären“, heißt es in der Anfangspassage.
In humoristischem Ton berichtet der Zahlenakrobat von seinen mathematischen Turnübungen und gibt dabei die eine oder andere Anekdote zum Besten. Während er sein Leben Revue passieren lässt, drängt sich der Verdacht auf, dass die Rechenoperationen ihm zu Kopf gestiegen sind. Diese Vermutung erweist sich am Ende als nicht unbegründet.
Der Flaschensammler
Ein Sonderling steht auch im Mittelpunkt von Negy Kleins «Der Flaschensammler». Der Titelheld verdient seinen Lebensunterhalt mit der Suche nach Gebinde, das sich gegen Pfandgeld eintauschen lässt. Obwohl der Flaschensammler hart arbeiten muss und mit dieser Tätigkeit gesellschaftlich im Abseits steht, geht er gutgelaunt durch das Leben. Seine Stimmung trübt sich jedoch, als ein betrunkener Fahrradfahrer seinen mit Leergut gefüllten Einkaufswagen rammt. Die Flaschen zerschellen am harten Pflasterstein und verlieren ihren Wert.
Für den Protagonisten ist dieser Zwischenfall nur der Anfang einer Reihe von Unannehmlichkeiten. Er muss sich nicht nur mit dem betrunkenen Fahrradfahrer auseinandersetzen, sondern auch die Polizei besänftigen. Doch die Geschichte nimmt eine Wendung, mit der der bemitleidenswerte Held vom Verlierer zum Gewinner avanciert.
Die Performance
Dieses Glück wird dem Protagonisten in Negy Kleins dritter Kurzgeschichte leider nicht zuteil. Der junge Mann namens Gabor schlendert nach einer überstandenen Operation durch die Straßen Berlins, bis er in einer Wohnung landet, in der eine Performance stattfindet. Das Kunstwerk fesselt ihn, wirft aber auch sehr viele Fragen auf. Der Held bemüht sich darum, die Bedeutung der Aktion zu entschlüsseln, muss aber mit Bedauern feststellen, dass diese Aufgabe ihn überfordert. Während seine Verwirrung wächst, wird er unfreiwillig Teil der Performance. Sie endet schließlich mit einem Sturz, für den Gabor zwar Applaus erhält, der ihm aber auch einen großen Schaden zufügt.
Wie die vorherigen Werke enthält auch «Die Performance» einige sehr amüsante Szenen. Allerdings beruht die Komik weniger auf dem Charakter des Protagonisten, sondern entsteht aus der aberwitzigen Situation, in die er gerät. Die Darbietungen der Künstlerin wirken derart bizarr, dass man als Leser geneigt ist, ungläubig mit dem Kopf zu schütteln. Doch der Held der Geschichte verspürt einen immensen Druck, der Performance unbedingt eine Bedeutung abzuringen. Ihr erhabener Gestus erzeugt so viel Ehrfurcht, dass Gabor zunehmend unsicherer wird: „Er dachte nach und suchte nach Interpretationsansätzen, doch es fiel ihm nichts ein. Wie erging es den anderen, waren sie genauso überfordert wie er? Oder war er der einzige, der gar nichts verstand? Gabor plagten nun Selbstzweifel.“
Ein ungebetener Gast
Eine kuriose Situation schildert auch der Erzähler in Negy Kleins Kurzgeschichte «Ein ungebetener Gast». Sie handelt von einem Barmann, der im Sommer im Gasthaus arbeiten muss. Aufgrund der hohen Temperaturen bleibt sie überwiegend leer, was sich negativ auf das Nervenkostüm des Protagonisten auswirkt. Die Langeweile raubt ihm den Verstand. Eines Abends tritt schließlich ein Gast herein, allerdings kurz vor Feierabend. Obwohl der Barmann eigentlich seinen Dienst beenden will, serviert er aus Höflichkeit ein letztes Bier. Doch der Gast hat Durst und bestellt ein weiteres, und dann noch eines – jedes Mal wortlos, bloß mit einem Handzeichen. Er lässt sich davon auch dann nicht abbringen, als der Barmann seinen Ton verschärft.
Der Konflikt beruht in dieser Kurzgeschichte auf einem Kommunikationsproblem, dessen Ursache Negy Klein erst ganz zum Schluss aufdeckt. Bis zur Pointe verliert der Protagonist sukzessive die Fassung und gerät schließlich in Rage. Da der Autor die Distanz zwischen Erzähler und Figur größtenteils aufhebt, tauchen die Leser in diese Gefühlswelt ein. Das hat zur Folge, dass sie in gleichem Maße irritiert zurückbleiben, als der Konflikt aufgelöst wird. Auf diesen Effekt setzt Negy Klein in allen seinen Geschichten.