21. November 2024

Investigativer Dokumentarfilm entlarvt „Sturm auf den Reichstag“ als Inszenierung

Wer erinnert sich nicht an die Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 29. August 2020. Viele der Anwesenden nahmen eine bunte wie friedliche Veranstaltung wahr, mussten sich aber anschließend die Augen reiben, als sie in den Nachrichten von einem „Sturm auf den Reichstag“ hörten. Eine relativ kleine Menschenschar war am frühen Abend tatsächlich von einer Bühnenveranstaltung auf der Wiese auf die Treppen des Parlamentsgebäudes gelaufen und hisste dort unter anderem Reichsflaggen. In den Medien war von einem „Nazi-Aufmarsch“ die Rede, von einem „Angriff auf die Demokratie“, den drei Polizisten glücklicherweise verhindert hätten.

Viele Beobachter konnten den Vorfall nicht einordnen und wissen bis heute nicht, was dort wirklich passiert ist. Die Journalistin Aya Velázquez versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, mit einer Dokumentation, die den «Der Sturm auf den Reichstag» aufarbeitet und ihn, wie es im Titel heißt als „Psy-Op“ entlarvt. Der knapp 90-minütige Film beginnt jedoch drei Jahre vor jenem geschichtsträchtigen Tag – mit einem anderem Reichstagssturm. Verantwortlich für ihn war der Schweizer Regisseur Milo Rau. Im Rahmen seiner Revolutionstrilogie sollte dadurch am 7.11. 2017 genau hundert Jahre nach dem legendären Sturm auf den St. Petersburger Winterpalast das neu gewählte Parlament symbolisch herausgefordert werden. Mit dieser Inszenierung in der Anfangssequenz setzt Velázquez den Ton und leitet thematisch über zum Sturm auf den Reichstag am 29. August 2020, um anschließend zu zeigen, dass auch dieser Züge einer Aufführung, ja eines Schmierentheaters trägt.

Strategie der Spannung

Vieles erscheint faul an der aufgeblasenen Treppenbesetzung. Um das zu demonstrieren, trägt Velázquez Informationen zusammen, greift auf Archivaufnahmen und veröffentlichte Privataufzeichnungen zurück und beleuchtet das Geschehen vor dem Hintergrund der sogenannten Strategie der Spannung. Dabei handelt es sich um ein perfides Instrumentarium, bestehend aus einem Komplex verdeckter Maßnahmen, die staatliche Organe ergreifen, um das gesellschaftliche Gefüge zu destabilisieren und die Bevölkerung zu verunsichern. Dadurch lässt sich nicht nur die Aufrüstung des staatlichen Sicherheitsapparats legitimieren, sondern auch die Verschärfung von Gesetzen. Diese Muster bemüht sich Velázquez am Beispiel des Reichstagssturms sichtbar zu machen, indem sie auf die vielen Ungereimtheiten verweist und vor allem die fragwürdige Rolle sogenannter V-Leute betont.

Szene aus dem Film / Screenshot

Wer sich die Ereignisse vergegenwärtigt, stellt tatsächlich Merkwürdigkeiten fest. Die Dokumentation erinnert daran, dass an jenem 29. August 2020 die von dem Reichsbürger Rüdiger Hoffmann angemeldete Kundgebung auf der Wiese vor dem Reichstag genehmigt wurde, während die Behörden die Demonstration der Organisation Querdenken auf der Straße des 17. Juni vehement verboten, bis das Landesgericht sie per Beschluss erlaubte. Als genauso zweifelhaft erweist sich der Auftritt eines der drei „Helden“-Polizisten, der sich zuvor in diversen Fernsehproduktionen in Szene gesetzt hatte.

Die Rolle der „Rattenfänger“

Für die größte Verwunderung sorgen jedoch die Ereignisse am Rande der Bühne in der Nähe des Brandenburger Tors. Mehrere zwielichtige Personen, im Film „Rattenfänger“ genannt, versuchen dort krampfhaft, die vorbeilaufenden Leute auf die Wiese vor dem Reichstag zu locken. Zwei Akteure fallen besonders auf – Gunar W. und Tamara Kirschbaum. Letztere gibt am Tag davor zufälligerweise einer Bild-Reporterin ein Live-Interview und leitet später schließlich den Sturm auf den Reichstag ein – mit einer skurrilen Rede. US-Präsident Trump sei in der amerikanischen Botschaft angekommen und wolle den Friedensvertrag unterzeichnen, warte aber, bis das deutsche Volk handlungsfähig werde – so ihre Worte, die die Menge anstachelten. So irre diese Aussagen sind, so mysteriös mutet das Verhalten der Polizei an. Eine ganze Hundertschaft, das belegt Velázquez mit mehreren Aufnahmen aus einer jeweils anderen Perspektive, versammelt sich lange vor dem „Sturm“ genau in der Nähe, schreitet aber nicht ein, als er losbricht.

Diese Ereignisse werden im Film minutiös aufgearbeitet und mit Zeitstempel so präsentiert, dass sich eine spannungsgeladene Dramaturgie ergibt. Diesen Effekt steigert Velázquez, indem sie die Bilder mit hervorragend ausgewählter Musik untermalt. Umso näher man dem Sturm auf den Reichstag kommt, desto schneller schlägt der Puls. Während die Chronologie anhand von Archivaufnahmen nachgezeichnet wird, erscheinen immer wieder kurze Texte, die Zusatzinformationen liefern. Das wirkt bisweilen störend und lenkt ab, sodass man sich nicht so richtig auf die bewegten Bilder konzentrieren kann. Besser wäre es, diese Funktion einer Erzählstimme zu übertragen. Bis auf diesen kleinen Makel erweist sich Velázquez’ Dokumentation als ein überaus interessanter wie erhellender Film, der wichtige Aufklärung betreibt.

Mehrere Stürme auf das Parlament

Wollte man die Hauptaussage auf eine Formel bringen, so wäre es die: Staatliche Organe organisieren über V-Leute gesellschaftliche Spannung, indem diese bestimmte politische Interessensgruppen zu Straftaten verleiten – so auch beim Sturm auf den Reichstag. Velázquez untermauert das unter anderem mit Interview-Ausschnitten aus früheren Dokumentationen, in denen entweder ehemalige V-Leute aus der rechten Szene zu Wort kommen oder Mitglieder aus dem RAF-Netzwerk der 70er Jahre. Von dort aus werden die Linien zu dem Sturm auf den Reichstag gezogen, vor allem zu den beiden Protagonisten Tamara Kirschbaum und Gunar W., deren öffentliche Statements nach dem Ereignis widersprüchlich wirken und viele Fragen aufwerfen.

Ob es sich um eine Inszenierung gehandelt hat, müssen die Zuschauer selbst entscheiden. Allerdings trägt der Film genügend Informationen zusammen, sodass die Angelegenheit eindeutig erscheint, zumal Tamara Kirschbaum, wie es im Abspann heißt, sich ins Ausland abgesetzt hat und für ein Interview nicht bereit war: „Obwohl der Sturm als „Angriff auf die Demokratie“ gewertet wurde, sind nur drei am Sturm beteiligte Protagonisten bis heute rechtskräftig verurteilt worden. Tamara Kirschbaum ist nicht darunter.“ Diese Merkwürdigkeiten machen bereits stutzig genug, werden im Film jedoch um eine globale Dimension erweitert, die den meisten Zuschauern nicht bekannt sein dürfte. Mysteriöser Weise fanden in der darauffolgenden Zeit sowohl in den USA als auch in mehreren europäischen Ländern ebenfalls Stürme auf Parlamente statt, wie Velázquez mit Aufnahmen vor Augen führt. Die sollten in Zukunft offenbleiben, wenn derartige Aktionen die Schlagzeilen bestimmen. Der Dokumentarfilm hat dafür eine exzellente Vorarbeit geleistet.

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