Wer am öffentlichen Leben teilnehmen möchte, muss neuerdings einchecken und am Eingang seinen 2G-Status nachweisen. Noch geschieht dies in den meisten Fällen händisch, indem die Besucher ihr Zertifikat vorzeigen – ob ausgedruckt oder digitalisiert. Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis die Türen einer öffentlichen Eirichtung sich erst dann öffnen, wenn man an einem Automaten den eigenen QR-Code gescannt hat. Der sogenannte «Grüne Pass» dient dazu, ein digitales Kontrollsystem zu etablieren, in dem nicht Menschen, sondern Algorithmen die Entscheidungen treffen. Wie das Leben dann aussieht, können sich derzeit nur wenige vorstellen. Ein fünfzehnminütiger Kurzfilm könnte da Abhilfe schaffen.
«Utopia», vier Jahre vor Corona gedreht, nimmt auf eindrückliche Weise vorweg, wohin sich die westliche Zivilisation entwickelt. Der griechische Regisseur Kosta Nikas führt die Zuschauer in eine Welt ein, wo die Bürger sich gegenseitig mit dem Smartphone kontrollieren. Anders als es der Titel suggeriert, handelt es sich um eine trostlose Dystopie, um einen Ort ohne Freude und bürgerliche Freiheiten. Der gut gelaunte Protagonist Jack weiß davon noch recht wenig, als er nach fünfzehn Jahren zurückkehrt. Sein Bruder Frank begrüßt ihn mit einer finsteren Miene. Warum sie so versteinert ist, leuchtet nach und nach ein. Die Bevölkerung Utopias kann nichts machen, ohne dass es digital registriert wird. An das System angeschlossen sind alle über ein Armband, das je nach Status grün oder rot leuchtet.
Wer einen Wagen starten will, muss zunächst in ein Röhrchen pusten, das aus dem Lenkrad hochschnellt. Wer sich beschwert oder flucht, bekommt Bußgelder aufgebürdet. Wer Müll produziert, kann sich ebenfalls einer Strafe sicher sein. Wie dieses digitale Kontrollsystem funktioniert, lernt Jack dann recht schnell auf die harte Tour. Als sich die beiden Brüder zur Begrüßung umarmen, lässt der Protagonist unbewusst sein Halstuch fallen. Während die beiden mit dem Wagen losfahren, kommt eine Passantin vorbei und fotografiert das Vergehen. Das Bild vom liegengelassenen Halstuch wird mit dem Autokennzeichen synchronisiert und bewirkt eine Strafmaßnahme.
Nichts wie weg hier
Während die Passantin für ihre polizeiliche Kontrolle Pluspunkte erhält, bleibt der Wagen der beiden Brüder mitten auf der Fahrt stehen. Um ihn wieder in Bewegung zu setzen, muss Frank zunächst das auferlegte Bußgeld bezahlen – ausschließlich mit der eigenen Kreditkarte. Doch die hat er nicht dabei, weshalb beide keine andere Wahl haben, als nach Hause zu laufen. Dort erwartet Jack schon die nächste Überraschung. Alle Zimmer sind mit einer Kamera versehen, die jedes Vergehen registrieren – zum Beispiel den Genuss von Alkohol. Den trinken die Bürger Utopias heimlich auf ihrer Toilette, dem einzigen Ort, der nicht an das digitale Kontrollsystem angeschlossen ist. Dass Jack schon bald die Nerven verliert und schließlich die Flucht ergreift, ist nur wenig verwunderlich. Allerdings bringt er dadurch die Frau seines Bruders in Schwierigkeiten.
Utopia, so der Subtext, hat sich in Dystopia verwandelt. Dieses Schicksal könnte die westlichen Demokratien schneller ereilen, als sie glauben. Nikas’ Film hält den Zuschauern den Spiegel vor und veranschaulicht, welch destruktive Kraft von der fortschreitenden Digitalisierung ausgeht. Dabei hatte er den «Grünen Pass» und die zunehmend autoritäre Corona-Politik noch gar nicht im Blick. Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen, erscheint sein Film aber aktueller denn je. Er wirkt geradezu abschreckend und ermahnt dazu, die instrumentelle Vernunft nicht zu missbrauchen. Wer diese Bedenken nicht ernst nimmt, wird sich möglicherweise schon bald so fühlen wie Jack.
Titelbild: Screenshot