Wie fühlt es sich an, nach fünfzehn Jahren in Indonesien in ein Industrieland zurückzukehren? Darüber spricht die Schweizerin Katharina Zimmermann am Anfang des Films «Das letzte Buch», der ihr ereignisreiches Leben nachzeichnet. Sie sei überfordert gewesen, habe sich nicht konzentrieren können. „Es hat sich so viel verändert“, sagt sie. Die 1933 geborene Pfarrerstochter war zuvor auf eine Mission in den Urwald Kalimantans gegangen, wo sie lange Zeit ohne einen Zugang zu Informationen lebte. In ihr hatte sich der Wunsch breit gemacht, den Menschen des südostasiatischen Inselstaates zu helfen. Die Gelegenheit dazu sollte sie später tatsächlich bekommen. Doch zunächst musste sie sich an die neue Umgebung gewöhnen und ihre eigenen Probleme lösen.
Die Regisseurinnen Anne-Marie Haller und Tanja Trentmann begegnen ihrer Protagonisten, als diese sich schon im hohen Alter befindet und an einem biografischen Text schreibt – ihrem «letzten Buch». Die Erlebnisse in Indonesien nehmen dort einen prominenten Platz ein, weil sie auf Zimmermann prägend gewirkt haben. Was in dem Inselstaat zwischen 1964 und 1979 passiert ist, erzählt die Schriftstellerin im krächzenden Schweizerdeutsch, ohne dass ihre Schilderungen von einem Erzähler eingeordnet werden. Der Film besteht größtenteils aus Interviews, die sich mit Archivbildern und kurzen Ausschnitten aus dem gegenwärtigen Alltag abwechseln. Zwischendurch taucht dann doch eine Stimme aus dem Off auf, aber nicht um zu kommentieren, sondern aus Zimmermanns Abschlusswerk einige markante Passagen vorzulesen. Es sind Eindrücke und Reflexionen, aus denen hervorgeht, was die Schweizerin zu jener Zeit bewegte.
In der Anfangszeit wirkt Indonesien sehr feindlich. Zimmermanns Familie weht ein „antiwestlicher Wind“ entgegen, so ihre Worte. Aus den Wohnungsfenstern schmeißt man Steine nach ihnen, wenn sie sich mal zu einem Spaziergang nach draußen trauen. Kurze Zeit später erlebt der Inselstaat gravierende politische Veränderungen, sodass das gesellschaftliche Klima noch rauer wird. Zunächst führen die Kommunisten einen Putsch durch, dann das Militär. In dem Land herrscht Chaos, es kommt zu blutigen Auseinandersetzungen. Zimmermann und ihre kleine Familie sind mittendrin. Wenn sie über die Gewalt und vollen Gefängnisse spricht, wird sehr schnell deutlich, wie lebendig die vergangenen Bilder immer noch sind. Selbst nach Jahren wühlen sie die Schriftstellerin auf und lassen ihre Emotionen hochkochen.
Gefährlicher Alltag
Neben Zimmermann kommen auch ihre Kinder zu Wort. Was sie zu berichten haben, klingt nicht weniger dramatisch. Während des Militärputsches habe man von einem Tag auf den anderen nicht auf die Straße gehen dürfen. Und wenn doch, dann mit einer Identitätskarte. Wer sie nicht sichtbar trug, riskierte, mitgenommen zu werden. Zimmermann selbst spricht von einem Machtvakuum, das für sie noch schlimmer sei als eine korrupte Regierung. Die Willkür und Angst haben auf sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen, weshalb die Geschehnisse in ihren Büchern immer wieder verarbeitet werden. Aber es gab auch schöne Momente. Auf dem Land engagierte sich Zimmermann als Lehrerin, die indonesischen Bauersfrauen eine gewisse Bildung vermittelte. Dafür sind sie ihr heute sehr dankbar und erzählen mit Tränen in den Augen, dass die Schweizerin ihnen mit diesem Engagement eine Zukunft schenkte.
«Das letzte Buch» stellt Katharina Zimmermann nicht nur als Abenteurerin und warmherzige Frau vor, sondern auch als Schriftstellerin. In vielen Szenen sitzt sie vor dem Computer und schreibt, sie besucht ihre Lektoren und liest in einer Buchhandlung. Dabei zeigt sich, wie schwierig es für Autoren geworden ist, einen Verlag zu finden. Das Interesse an Büchern hat nachgelassen, der Absatz sinkt. Das schlägt auf die Verlage und schließlich auf die Schriftsteller zurück. Für Zimmerman ist es noch einmal gut gegangen. Ihr «letztes Werk» liegt in den Buchläden. Ein weiteres dürfte nicht mehr folgen, wie sie selber sagt. In ihrem Alter sei das nicht mehr machbar. Aber die Lust am Schreiben bleibe weiter lebendig. Wenn sie darüber spricht, gibt ihre Mimik deutlich zu verstehen, dass die Arbeit am Text jung hält. Für den Beruf ist der Film eine großartige Werbung. Wer gerne schreibt, wird sich danach erbaut fühlen.