Vor etwas mehr als 30 Jahren begann Hermann Vaske das Projekt «Why Are We Creative». Der deutsche Regisseur befragte rund 1.000 bekannte Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Politik und Wissenschaft zu dem Ursprung ihrer Kreativität. Auf dieser Arbeit entstand schließlich eine Dokumentation, die 2018 ihre Deutschlandpremiere feierte und nun beim Streamingdienst PantaRay zu sehen ist.
Zu Beginn des Films erzählt Vaske, wie er auf diese Idee gekommen ist. Alles fing mit einem Wohnortswechsel an. Der Regisseur zog in den 1990ern nach London, wo er bei der Kreativagentur Saatchi & Saatchi anheuerte. Während Vaske in Deutschland in einer Welt aufgewachsen war, in der man Regeln nie infrage stellte, zeigte ihm die englische Hauptstadt einen neuen Blick auf das Leben. „Alles war erreichbar und greifbar“, sagt er in der Dokumentation.
Schwer zu bestimmen
Bei dem neuen Auftraggeber wurde der Kreativdirektor Paul Arden zu seinem Mentor und animierte Vaske dazu, dieser Frage nachzugehen: Warum sind wir kreativ? Der Regisseur, der in dem Film auch seine eigene Geschichte erzählt, folgte der Anweisung. Die Frage ging ihm nicht aus dem Sinn, weshalb er die Welt zu bereisen begann, um sie wildfremden Menschen zu stellen.
Die Antworten fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Der Schauspieler Dennis Hopper etwa sieht den Ursprung seiner Kreativität in der fehlenden Anerkennung im familiären Kreis. Für Architektin Zaha Hadid ist sie keine angeborene Eigenschaft, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Eine komplett entgegengesetzte Antwort gibt der Regisseur Quentin Tarantino, der seine Kreativität als Gabe versteht. Die unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden Definitionen machen deutlich, dass es sich um ein schwer zu bestimmendes Phänomen handelt. Kreativität ist ein Abstraktum, das sich zwar in Werken materialisiert, sich aber nie in seiner reinen Form zeigt. Dass ist auch der Grund, warum Vaskes Projekt so lange dauerte.
Kreativität zeigt sich in der Praxis
In dem Film vergleicht sich der Regisseur mit Captain Ahab, der nach dem Wesen der Kreativität genauso versessen sucht wie Herman Melvilles Protagonist nach dem weißen Pottwal Moby Dick. Zwischen den vielen Interviews, die er mit den prominenten Persönlichkeiten führt, trägt Vaske immer wieder eigene Reflexionen vor. Er zitiert andere Künstler und versucht, seine Leitfrage selber zu beantworten. Aber so oft er auch ansetzt, Worte reichen einfach nicht aus, um das Problem zu lösen. Kreativität zeigt sich nur in der Praxis. Das führt Vaske quasi performativ vor, als er den Künstler Georg Baselitz interviewt. Da dieser dafür bekannt ist, seine Bilder auf den Kopf zu stellen, nimmt der Regisseur das Gespräch ebenfalls in diesem Still auf.
Obwohl die Zuschauer am Ende des Films genauso schlau sein dürften wie zuvor, bietet er trotzdem interessante Aspekte zum Thema Kreativität. Die vielen unterschiedlichen Aussagen sind sehr anregend. Sie provozieren auch zum Nachdenken darüber, was die eigene Kreativität ausmacht. Schließlich sind wir alle Künstler – wenn man dem großen Picasso glauben darf.