Kunst erfüllt bekanntlich viele Funktionen. Sie verarbeitet unter anderem gesellschaftliche Prozesse, weist auf Missstände hin und verleiht Kraft. Wer sich das neue Album der beiden Rapper Illstar und E1F anhört, findet diese Elemente in Hülle und Fülle. «Heilige Pflicht» weckt zwar religiöse Assoziationen, erweist sich aber recht schnell als ein hochpolitisches Werk, das sich als Kommentar auf die zivilisatorischen Umbrüche der letzten Jahre verstehen lässt. Das Themenspektrum reicht von Cancel Culture, Medienmanipulation und Doppelmoral bis hin zum Ukraine-Konflikt.
Den Ton setzen Illstar und E1F bereits im Intro, indem sie sowohl musikalisch als auch textlich ein Feuerwerk abbrennen. Ein berauschend-treibender Beat bereitet die Hörer auf eine Sound-Reise der Superlative vor – mit sphärischen Klängen und melancholischen Einsprengseln. Zum energiegeladenen Rhythmus ertönt die Zeile „Wo Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht“. Sie bezieht sich auf den vierten Absatz des 20. Artikels im Grundgesetz und zieht sich wie ein roter Faden durch die insgesamt 14 Stücke. Für die beiden Rapper ist diese Pflicht heilig, wie der Titel des Albums zu verstehen gibt.
Kritik an Heuchelei der Regierung
Bereits im Intro weisen Illstar und E1F wortgewaltig darauf hin, was gesellschaftspolitisch schiefläuft: auf die grassierende Korruption in der Politik, die wachsende Macht von Big Pharma und den Untergang der Demokratie. Doch sie, so der Tenor, sind nicht bereit, diese Entwicklung kritiklos abzunicken. „Ich strotze vor Kraft, Mut, Motivation und Idee“, rappt Illstar im Anfangspart. „Trotze der Angstpropaganda und Anpassungsdruck des Systems.“ So ähnlich formuliert es sein Kollege E1F: „Die Masse marschiert hier auf Asphalt im Gleichschritt / Ich bleibe off-road wie Rally Dakar / 4×4 (quatre quatre) Allrad, Rap 1×1 ergibt 11 als Essenz.“
In diesem kraftvollen Intro werden bereits alle Themen angerissen, mit denen sich die folgenden Tracks ausführlicher auseinandersetzen. «Im Namen des Friedens» etwa führt die Heuchelei westlicher Regierungen vor und die Umcodierung von Begriffen, mit denen sie im Ukraine-Konflikt operieren. „Sie predigen Wasser, trinken den Wein“, heißt eine markante Zeile. Sie folgt auf die zentrale Aussage, mit der das Duo den sprachmanipulativen Lack offizieller Narrative schonungslos abschmirgelt: „Sie schüren den Krieg im Namen des Friedens“. Kritische Worte zum Umgang der deutschen Führungsriege finden sich zudem in dem Song «Drauf gefasst», einem von insgesamt drei Tracks, die vorab ausgekoppelt wurden. Betont wird dabei der Informationskrieg, der mit Hilfe der Medien geführt wird, wobei die beiden Rapper die Frage aufwerfen, was noch passieren muss, damit die Massen aufwachen. Im Kern liefert der Song aber eine Antwort darauf, warum so viele Menschen sich derart leicht einlullen lassen. Die vielen Jahre Wohlstand hätten sie träge gemacht und bequem, „ignorant und nachlässig“. Ganz anders die Generationen vorher, die hart arbeiten mussten. Die widrigen Lebensbedingungen hätten sie jedoch stark gemacht, weshalb sie in Krisenzeiten wie diesen größeren Widerstandswillen zeigen. Sie sind „drauf gefasst“.
Aus der Perspektive zweier Dissidenten
Unter dem Eindruck des Krisenbewusstsein steht auch das Stück «Dissidenten», in dem Illstar und E1F ihr Selbstverständnis ausdrücken. Sie beschreiben den Kampf gegen Andersdenkende und akzentuieren die Absicht des Staates, die Bürger von oben zu erziehen. „Ich will tun, was ich tu / Und ich will sagen, was ich mein“, halten die beiden Rapper dagegen, die in ihren Parts mit kritischen Worten demonstrieren, warum sie sich als Dissidenten verstehen. Die Figur des Außenseiters taucht im Album mehrmals auf, unter anderem in dem Song «Abnormal», der den gesellschaftlichen Umgang mit abweichenden Meinungen anprangert, aber auch musikalische Therapie verspricht. Sie erfolgt in Form von Leitsätzen, die dazu ermutigen, gegen den Strom zu schwimmen und dem Herzen zu folgen. Untermauert werden sie mit Zitaten des deutschen Theologen und Psychoanalytiker Eugen Drewermann, der im hineinmontierten O-Ton unter anderem sagt: „Die Abweichenden sind unbedingt viel wichtiger als die, die mitmarschieren. Die Ausnahmen wichtiger als die Regeln. Denn da sind die Erneuerungspotentiale.“
Zitate sind ein beliebtes Stilmittel, auf das Illstar und E1F zurückgreifen, um ihre Aussagen zu verstärken. Hier und da hört man die Stimmen von zum Beispiel Robert Habeck oder Annalena Baerbock, deren Worte als Folie für die musikalisch vorgetragen Kritik dienen. Präsentiert wird sie in einem Flow, der sich geschmeidig an den stets dynamischen Beat anpasst, auch wenn die beiden Rapper sich in ihrem Sprechgesang deutlich unterscheiden. Illstar überzeugt mit einer klaren Stimme, die ohne Aggressivität auskommt, um die Missstände schnörkellos zu benennen. In ihr tut sich eine unbändige Bestimmtheit kund, ein widerständiger Geist, der dem Grauen der Zeit furchtlos ins Auge schaut. E1F trägt seine Bars in gewohnt rasantem Tempo vor, so energisch und schwungvoll, dass man das sprachliche Trommelfeuer in jeder Pore spürt. Seine schnellen Reime sind gespickt mit kreativen Wendungen, mit Wortspielen und Assoziationen, die ganze Bilder entstehen lassen.
Für ihn ist «Heilige Pflicht» nicht nur ein Debütalbum, sondern auch die erste Veröffentlichung kommerzieller Musik über diverse Streaming-Dienste, während Illstar eine bereits stattliche Diskografie aufweist. Zuletzt erschien das Album «Sternensaat», auf dem E1F bei dem Song «Jesus Christus» mitwirkte. Seitdem hat sich die Zusammenarbeit der beiden intensiviert. Im Laufe der Zeit soll der Wunsch entstanden sein, auch ein gemeinsames Album zu veröffentlichen, eines, das den Zeitgeist der letzten Jahre auffängt und kritisiert, aber auch positive Botschaften für eine Veränderung sendet. Das ist den beiden tatsächlich gelungen – mit leidenschaftlichem Sprechgesang und einem mitreißenden Sound, der den Widerstandsgeist zum Tanzen bringt.