„Jeder wird jemanden kennen, der an Corona verstorben ist.“ Diese Aussage des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz wird wohl in die Geschichte eingehen. Mit ihr schürte er zu Beginn der vermeintlichen Pandemie Panik, auf der sich anschließend drakonische Maßnahmen und Freiheitseinschränkungen rechtfertigen ließen. Drei Jahre später hat eine Gruppe engagierter Menschen aus der Zivilgesellschaft diese Aussage variiert, um auf die Notwendigkeit einer Aufarbeitung aufmerksam zu machen. In Linz ist eine Plakat-Kampagne mit dem Titel «Jeder wird jemanden kennen, …» entstanden. Auf jedem Bild prangen die Gesichter sogenannter Impf-Opfer, während darunter jene Aussage Sebastian Kurz’ pointiert umformuliert wird: „… der von Maßnahmen oder Impfungen geschädigt wurde“.
Diese Plakat-Kampagne hat der Fotograf, Sänger und Publizist Thomas Stimmel zum Anlass genommen, eine Dokumentationsreihe zu produzieren. Der erste Teil, kurze 15 Minuten lang, ist bereits erschienen und vermittelt mit melancholischer Geste einen Eindruck von dem „bleiernen Schweigen“ der Corona-Jahre. Der Filmemacher hat sich dafür nach Linz begeben. Dort interviewt er nicht nur die Verantwortlichen der Kampagne, sondern auch Betroffene und Passanten, die die Ereignisse der relativ frischen Vergangenheit kommentieren. Sie erinnern sich an unschöne Erlebnisse oder bringen ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck, wie schleppend die Aufarbeitung verläuft. Impf-Opfer sprechen hingegen über ihr Leiden nach der Injektion oder erklären, warum sie sich für den Eingriff entschieden haben.
Wenn Filmemacher Stimmel diese Menschen interviewt, tritt er gelegentlich selber im Bild auf. Mit Kamera und Mikrophon steht er seinen Gesprächspartnern gegenüber und saugt ihre Geschichten auf, ohne aufdringlich zu wirken. Aus seinem Blick spricht viel Empathie, die er den Interviewten entgegenbringt. Ihre Erfahrungen sind teilweise schockierend, kreisen aber immer wieder um die Frage, warum so viele Menschen angesichts der Ungerechtigkeit und des Leids schwiegen. Existenzängste, gesellschaftlicher Druck: Die Liste der Gründe ist lang. Zu ihnen nehmen im Film auch Prominente Stellung, so wie der Kabarettist Gery Seidl oder die Schauspielerin Catherine Oborny, mit denen Stimmel per Videokonferenz spricht.
Opfer und Täter
Gedreht ist der Dokumentarfilm komplett in Schwarz-Weiß, was den melancholischen Ton unterstreicht. Dieser drückt sich aber auch in der musikalischen Untermalung aus. Während beispielsweise Stimmel als Erzähler die Ereignisse einordnet, erklingen sanfte wie emotionale Stücke, die insbesondere die Stimmungslage der Opfer wiedergeben. Neben ihnen kommen im Film die Täter zu Wort: Politiker, Moderatoren, berühmte Ärzte, allesamt entscheidende Akteure, die für Ungeimpfte harte Konsequenzen forderten und mit teilweise unmenschlichen Aussagen zur gesellschaftlichen Spaltung beitrugen.
In dieser Machart leistet Dokumentation wichtige Aufarbeitungsarbeit. Stimmel holt weder den Vorschlaghammer heraus noch reiht er Vorwürfe aneinander. Der unaufgeregte Ton kommt einem Appell gleich, die Risse in der Gesellschaft zu kitten, aber auch die Opfer nicht allein zu lassen. „Wie steht es um die Sprachlosigkeit vieler Menschen und um die Angst, das Erlebte zu thematisieren?“, schreibt Stimmel unter dem YouTube-Video zur Dokumentation und kritisiert zugleich die Haltung der Verantwortlichen: „Kann ein gesellschaftliches Miteinander und ‚Heilung‘ möglich sein, wenn nach dem offiziellen Ende der ‚pandemischen Notlage‘ seitens führender Medien und Politik keine tiefgreifende Aufarbeitung angestrebt wird?“
Titelbild: Screenshot