21. November 2024

«Grundlagenforschung» – Alltagsgeschichten über zaudernde Frauenfiguren

„Das Leben ist undurchsichtig und erzählenswert“ heißt im Klappentext. Anke Stellings Erzählband «Grundlagenforschung» stimmt die Leser auf Geschichten aus dem Alltag ein, in denen nicht wirklich viel passiert, denen die großen dramatischen Momente fehlen, die aber trotzdem erzählenswert sind. Sie sind es, weil die Situationen, in denen sich die Figuren befinden, so vertraut erscheinen. Sie hadern mit sich selbst, haben Angst vor Enttäuschungen, suchen ihr Glück in der Zukunft oder wissen nicht so recht, wie sie mit den gesellschaftlichen Normen umgehen sollen. 

In den vierzehn Erzählungen handelt es sich oftmals um unsichere, kleinmütige Frauenfiguren, die an einer Grundnervosität leiden. „Sandra war eine von denen, die nicht gelernt hatten, das Leben gelassen zu sehen“, wird eine Protagonistin charakterisiert, die mitten im August darauf wartet, dass etwas Schönes passiert, die Sommerzeit aber nicht genießen kann, weil sie sich einsam fühlt. Häufig ist es das Verhältnis zum anderen Geschlecht, aus dem Selbstzweifel und innere Konflikte entstehen: „Markus Häfele, in den alle aus der Klasse verliebt sind, sagt, ich sei zwar hässlich, aber mein Charakter sei okay. Ich frage mich, was ich tun kann“, berichtet eine andere Protagonistin, die das Leben noch vor sich hat.

Wechselnde Tonlage und unterschiedliche Perspektiven

Dass die Figuren verzagen, liegt nicht immer am jungen Alter. Wer schon über mehr Lebenserfahrung verfügt, legt trotzdem die gleiche Unsicherheit an den Tag: „Es fehlt ihr an Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein, sie lässt sich zu schnell ablenken“, heißt es beispielsweise in der Erzählung «Raus», die von einem Paar handelt, das in der Liebe Hoffnung sucht, um vergangene Demütigungen und menschliche Beschränkungen hinter sich zu lassen.

Anke Stelling schreibt über solche Alltagsprobleme mit leichter Hand, wechselt die Tonlage und wählt unterschiedliche Perspektiven. Mal spricht die Erzählerin die Leser an, mal verwendet sie die wir-Form. «Grundlagenforschung» ist das Zeugnis einer vielseitigen Autorin, die nicht nur ihr Handwerk beherrscht, sondern offensichtlich über eine sehr gute Beobachtungsgabe verfügt. Aus vielen kleinen Szenen, die sie beschreibt, spricht die Lebenserfahrung eines Menschen, der hinter Handlungen bestimmte psychologische Vorgänge sieht.  

Wer in die Erzählungen eintaucht, wird in den Figuren sich selbst finden. Sie halten einen Spiegel vor, in dem nicht immer wünschenswerte Charakterzüge zum Vorschein kommen. Sie legen oftmals den Finger auf den wunden Punkt. Sie regen aber auch zum Nachdenken an und ermöglichen es, Lebenssituationen aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

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