Die letzten Jahre waren geprägt von Zensur, Diffamierung Andersdenkender und autoritärer Politik. Demokratische Grundprinzipien wurden stetig untergraben, sodass sich die Frage stellt, ob die Bürger überhaupt noch wissen, was das ist – die Volksherrschaft. Was diese Regierungsform ausmacht, scheint nicht mehr Allgemeinwissen zu sein, weshalb ein neues Buch den Versuch unternimmt, ihren Wesensgehalt spielerisch und leicht verständlich zu vermitteln. «Eine kleine Geschichte der Demokratie», ein gemeinsames Werk des Ökonomen Marius Krüger und der Illustratorin Christine Stiller, kommt als Kinderbuch für Erwachsene daher, indem es das Konzept der Volksherrschaft bildhaft und mit wenigen Beschreibungen darstellt, aber auch veranschaulicht, wie es im Laufe der Jahrhunderte umkämpft, bekämpft und umgedeutet wurde.
„Wer ist der Bestimmer?“, lautet die Frage, mit der die Lektüre beginnt. „Wer legt die Regeln fest, wenn Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben?“ Die Demokratie wird dabei als kluge Lösung präsentiert, weil sie auf „sozialer Symmetrie“ basiert. Das bedeute, dass die Menschen einer Gemeinschaft gemeinsam die Regeln festlegen, nach denen sie leben möchten. Illustriert werden sie als kugelförmige Wesen, die mal auf einer Schaukel sitzen oder unterschiedliche Speisen verzehren. Krüger und Stiller versuchen dadurch zu vermitteln, dass die Interessen der jeweiligen Gesellschaftsmitglieder unterschiedlich ausfallen, diese aber trotzdem das gleiche Recht haben mitzuentscheiden. Das Buch will die Gesellschaft nicht idealisieren. Es erwähnt durchaus, dass es zwischen den Menschen zu Konflikten kommt und dass diese wichtig sind. Nur müsse es eine offene Diskussion geben und die Möglichkeit, die eigene Meinung frei zu äußern.
Nach diesem beschreibenden Teil gehen die beiden Autoren zu den Funktionen über, die die Menschen in einer Demokratie haben. Sie geben sich nicht nur selbst eine Verfassung und machen sich selbst die Gesetze, sondern schaffen sich auch die Institutionen und geben sich eine Regierung. Um diese Aufgaben hervorzuheben, wird zum Vergleich die hierarchische Struktur herangezogen, die sich dadurch kennzeichnet, dass es Untergeordnete und Übergeordnete gibt. Letztere erscheinen auf der Bildebene als große Wesen mit oftmals finsteren oder unsympathischen Zügen, vor allem dann, als Krüger und Stiller nach einem Exkurs in das antike Athen erklären, wie eine reiche Oberschicht die Demokratie zu ihren Gunsten umfunktionierte. Sie wandelten die ursprüngliche Idee in eine um, „die ihnen besser passte: Die repräsentative Demokratie.“
Verändere Deine Frage!
Anstatt wie zuvor persönlich mitzuwirken, sollten sie Volksvertreter wählen, die wiederum ihre Interessen bei den Entscheidungen berücksichtigen. Dargestellt werden diese Repräsentanten als schwarze Schwäne mit riesigen Zähnen. Die kugelförmigen Bürger wirken auf diesen Bildern jedoch weitaus weniger glücklich als zuvor. Kein Wunder, schließlich dürfen sie zwar wählen, aber nur „zwischen verschiedenen Alternativen derselben besitzenden Klasse“. Während ihre Interessen immer weniger Berücksichtigung finden, gestaltet die reiche Oberschicht mithilfe der Politiker die Welt so, wie es ihr gefällt. Später werden auch die Medien eingebunden, die – illustriert als Mischwesen mit elektronischen Elementen – dabei mitarbeiten, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Die Worte bleiben zwar gleich, aber ihr Sinn ändert sich.
Die Moral der Geschichte wird schließlich auf den letzten Seiten präsentiert: „Verändere Deine Frage“, heißt es lapidar. „Von ‚Was steht drauf?‘ in ‚Was steckt drin‘?“ Mit dieser didaktischen Handreichung regen Krüger und Stiller nicht nur die kleinen Leser zum Nachdenken an. Den Perspektivenwechsel müssten auch Erwachsene vollziehen, um zu verstehen, dass es in einer demokratischen Gesellschaft „eine Herrschaft der Reichen über die Armen nicht geben“ kann. So einfach kann Sozialkunde und politische Bildung sein – ohne viele Worte und großes Getöse. Den beiden Autoren gelingt es fabelhaft, ein komplexes Konzept und dessen Umcodierung so zu beschreiben, dass es wirklich jeder versteht. Nach den sozialen Verwerfungen der letzten Jahre ist das auch tatsächlich notwendig.