Freiheitseinschränkungen, staatliche Repressionen und Zensur: Die politisch-gesellschaftliche Situation in Deutschland erinnert aktuell an die Zeit in der DDR. Rock-Sängerin Caro Kunde kann das bestätigen. Dort begann ihre musikalische Karriere. In ihrer Heimatstadt Naumburg erlebte sie den Sozialismus von seiner guten wie schlechten Seite. Unangenehm waren die staatliche Bevormundung und die allgegenwärtige Stasiwillkür. Dafür konnte man mit Musik wunderbar über die Runden kommen. „Es gab sowieso kaum etwas zu erwerben – und wenn, kostete es fast nichts“, erinnert sich die Sängerin.
Wer in einem Unrechtsstaat wie der DDR aufwächst, wird zwangsläufig rebellisch – erst recht als Musiker. Caro Kunde ist es noch heute. Sie gehört zu den Künstlern, die während der Corona-Krise den Mund aufmachen und Kritik an den Maßnahmen äußern. Am unerträglichsten ist für sie der Verlust der Freiheit. Ihr aktueller Song legt davon ein beredtes Zeugnis ab. „Wir waren frei, nichts war verboten“, lautet die erste Zeile. „Alles war möglich und jede Meinung war erlaubt / Es gibt einen Schwur, so steht’s geschrieben / Unantastbar werden wir sein.“ Bezeichnenderweise heißt der Song «Freigeist». Kunde trägt ihn mit viel Energie vor. Ihre Stimme strotzt nur so vor Kraft und passt zu einer Körpersprache, in der sich Entschlossenheit kundtut. Es ist ein Auftritt, wie ihn Rock-Fans lieben und schätzen gelernt haben.
Von Naumburg nach Halle
Dabei fing Kundes Musikkarriere in einem eher ruhigen Ambiente an. Als Jugendliche sang sie zunächst im Naumburger Kantatenchor, wo ihre Stimme den ersten Schliff bekam. Wenige Jahre später zog sie nach Halle und trat dort mit der Gruppe Supergroove auf. Die Songtexte waren damals größtenteils in englischer Sprache – als „Ausdruck der Rebellion“, wie Kunde erläutert. Nach dem Mauerfall zog sie aus privaten Gründen nach München. Das sollte sich als Glücksfall erweisen. Die Zeit in der bayerischen Hauptstadt war wohl die produktivste in ihrer Kariere. Hier entwickelte sich die Sängerin zum Profi. Sie nahm Tanzunterricht, sang in drei Coverbands ihre Lieblingssongs und fing an, eigene Stücke zu schreiben – dieses Mal auf Deutsch.
Dass ihr das gut gelingt, macht «Freigeist» ebenfalls unmissverständlich. Der Song ist tiefgründig und sendet in prägnanten, ausdrucksstarken Worten eine Message, in der Kritik und Hoffnung zugleich mitschwingen. „Ich singe für die Liebe“, beginnt der Refrain. „Ich singe für den Mut, für die Freiheit / Unser allerhöchstes Gut / Ich sing für unsre Würde / Ich singe für Respekt / Für den Freigeist, der sich niemals feige versteckt.“ Es ist bislang ihr politischstes Lied. Früher widmete sich Kunde eher zwischenmenschlichen Themen. Sie sang über Freundschaft, kritisierte die Oberflächlichkeit von Beziehungen oder beschwor die Wahrhaftigkeit des Menschen.
So fruchtbar die Zeit in München war, so groß war irgendwann der Wunsch, in ihrem Leben wieder etwas zu verändern. Kunde zog nach Berlin. Hier wollte sie fortan ausschließlich für die eigene Kunst leben. Die ersten Monate waren hart. Außer einer Gitarre und ihrem Gesangstalent gab es nicht viel, was sie in die Waagschale werfen konnte. Doch das reichte aus, um sich nach und nach einen Namen zu machen. Sie schrieb fleißig weiter, gab Wohnzimmerkonzerte und veranstaltete Kunstevents. Später erhielt die Sängerin ein Engagement beim Circus «Flic Flac», mit dem sie zweieinhalb Jahr auf Tournee ging. Und dann kam Corona.
Dass die Regierung das komplette Kulturleben lahmlegte, war für Kunde ein Schock. Während große Konzerne mit Staatsgeldern überschüttet wurden, mussten die Künstler darben. In Entscheidungsgremien erachtete man sie nicht als systemrelevant. Das konnte sich die Sängerin nicht gefallen lassen. „Das hieß, wir Künstler sind nicht wichtig“, sagt sie. „Für mich ist Musik kein Hobby, sondern ein Beruf.“ Also begann sie, mit ihrer Musik gegen die Corona-Politik anzusingen. „Wenn die Regierung den Leuten das Wort verbietet, wird man politisch.“ Zunähst nahm die Sängerin an der Mahnwache für Kunst und Kultur teil, wo sie mit Gleichgesinnten in regelmäßigen Abständen auf die Nöte ihrer Branche aufmerksam machte. Es folgten Auftritte auf der Kulturbühne an der Revaler Straße und im Laden eines Optikers, der sein Schaufenster zu einer Bühne umfunktionierte.
An den Zeitgeist angepasst
„Kunst muss anecken“, sagt Kunde. „Sie muss zum Denken anregen.“ In «Freigeist» werden diese Überzeugungen umgesetzt: „Wir fürchten uns zu Tode / Sind geschwächt und isoliert / Fühln uns wie gelähmt, / Bestraft und kontrolliert / Der Mittelstand geht zu Boden / Und Kultur ist peripher / Einigkeit und Rechte, / Das gibt es nun nicht mehr.“ Komponiert wurde der Song bereits vor zehn Jahren. Kunde hat lediglich den Text so angepasst, dass er dem Zeitgeist entspricht – allerdings nicht alleine. Geholfen hat ihr der Gitarrist Armin Laufs, ein alter Weggefährte, der schon damals an dem Song mitwirkte. Nach jahrelanger Funkstille trafen sich beide ausgerechnet auf der Kulturbühne an der Revaler Straße wieder. Als sie beschlossen, erneut zusammen aufzutreten, kam spontan ein Schlagzeuger hinzu. Als sich dann auch noch ein Bassist fand, war die neue Gruppe perfekt.
Über diese fast schon göttliche Fügung ist Kunde überglücklich. „Es ist der Situation zu verdanken, dass ich die richtigen Menschen gefunden habe“, sagt sie. Den ersten gemeinsamen Auftritt absolvierte die Gruppe auf dem Event «Marktplatz der Demokratie» am 31. Juli. Neben «Freigeist» sang Kunde zwei weitere Lieder, die gewissermaßen ebenfalls zu der gegenwärtigen Situation passen. Der Zuspruch war enorm. Die Besucher applaudierten und zollten Respekt. Ausruhen will sich die Sängerin aber nicht. Sie hat noch viel vor, plant die nächsten Auftritte und arbeitet an neuen Projekten. Doch zunächst soll «Freigeist» auch im Studio aufgenommen werden.