Bildband «DDR-Alltag in 200 Objekten» – Gegenstände erzählen Geschichten

Im Gegensatz zur heutigen Wegwerfgesellschaft pflegten die Bürger der DDR, ihre Alltagsgegenstände möglichst lange aufzuheben. Das materielle Erbe des einstigen SED-Staates ist dementsprechend reichhaltig. Einen Ausschnitt davon präsentiert das Berliner DDR Museum in einer Ausstellung, die dem Motto «Geschichte zum Anfassen folgt». Zu sehen sind Zeugnisse der Alltags- und Lebenskultur, Artefakte mit einer besonderen Aura. Hinter ihrer regungslosen Fassade verbirgt sich der pulsierende Geist einer 40 Jahre währenden Diktatur, in der Konsumgüter ideologisch aufgeladen und Teil der „Systemauseinandersetzung“ waren. Welche Geschichten die ausgestellten Gegenstände erzählen, lässt sich zudem in dem Bildband «DDR-Alltag in 200 Objekten» nachlesen.

Das rund 250 Seiten starke Buch liefert einen authentischen und lehrreichen Einblick in das Leben im sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staat, mit hochwertigen Bildern, ausführlichen Beschreibungen und einem Glossar, der die damalige Terminologie erläutert. Die darin vorgestellten Gegenstände werden in mehrere Kategorien gegliedert. Ob Lebens- oder Genussmittel, ob Modeartikel oder Wohnaccessoires, ob Spielzeug oder Zeitschriften – die Lektüre erweckt den facettenreichen DDR-Alltag zum Leben. Welchen Einfluss die Staatsmacht und die Partei mit ihrer Ideologie auf ihn hatten, schwingt als Frage immer gleich mit. Die «Tempo-Gerichte» etwa erzählen davon, wie die DDR-Führung aufgrund wirtschaftlicher Nöte Frauen in den Arbeitsprozess zu integrieren versuchte. Mit einer technischen Neuerung ließ sich die Kochzeit dieser Produkte auf zehn bis fünfzehn Minuten reduzieren, was es den Damen ermöglichte, Beruf und Familie in Einklang zu bringen.

Wohnen in der DDR

Die Zeitschrift «Sybille» war hingegen ein Kind des „Neuen Kurses“ nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. „Die SED-Führung ging nun stärker auf die Wünsche der Bevölkerung ein, sodass das Alltagsgrau des Ostens ein paar bunte Tupfer bekam“, heißt es im Sammelband. Nicht weniger erhellend hören sich die Ausführungen zur Wohnungseinrichtung an. Besonders beliebt waren Tapeten mit floralen und barocken Mustern, aber auch Kronleuchter mit falschen Kristallanhängern sowie goldgerahmte Bilder mit Biedermeiermotiven. Als Grund werden die dünnen Wände der Plattenbauwohnungen genannt. Sie galt es, abzupolstern und abzuschirmen: „Die Welt der Politik, des Berufslebens, der Öffentlichkeit sollte draußen bleiben und den Feierabend oder das Wochenende nicht stören.“

Walter Womacks «Am Strand» / Foto: @DDR Museum

Einen hervorgehobenen Stellenwert in den Wohnungen der DDR-Bürger hatte Walter Womackas Ölgemälde «Am Strand». An ihm führte kein Weg vorbei: „Das Bild hing in Büros, Wartezimmern und Privatwohnungen, wurde in Illustrierten abgedruckt sowie als Kunstdruck, Postkarte oder als Motiv in Kunstkalendern im ganzen Land verbreitet.“ Das Geheimnis des Gemäldes liegt darin, dass es ein Musterbeispiel für den Sozialistischen Realismus darstellt, zu dessen Kunstdoktrin der Ausdruck von Optimismus und positiver Weltsicht gehörte. Weniger politisch und ideologisch ist hingegen das Putz- und Scheuermittel ATA aufgeladen. Es wurde lediglich als Utensil für’s Grobe geschätzt, beispielsweise für die Reinigung von Kochtöpfen mit angebrannten Resten. Doch es gab auch unschöne Nebeneffekte: „Bei Omas Goldrandgeschirr hat man das Scheuermittel aus Genthin eher vermieden und selbst auf den Aluminiumtöpfen hinterließ es Kratzspuren.“

Diese und andere Geschichten erzählen die Objekte, die das Leben der Bürger bereicherten und dazu animierten, sie in Überfülle zu horten. „Die DDR-Bewohner waren ein Volk der Jäger und Sammler – immer auf der Pirsch“, heißt es in der Einleitung zum Bildband. „Teilweise vertrauten sie auf ihr Jagdglück, teilweise klapperten sie gezielt die Läden ab.“ Mit dem Sammelband und der Ausstellung will das Berliner DDR Museum die Tür zu ihrem Alltag öffnen. Wer die Schwelle passiert, lernt viel, nicht nur über die Menschen, deren Vorlieben und Reaktionen auf staatliche Vorgaben, sondern auch über das politische System des SED-Staates samt ihren propagandistischen Winkelzügen. Das DDR Museum schafft somit den Spagat zwischen historischer Faktenvermittlung und lebensnaher Alltagsbeschreibung, mit Gegenständen, deren Geist den statischen Zustand überwindet.

Der Sammelband erscheint am 1. April, zeitgleich zur Wiedereröffnung des DDR Museums. Die Einrichtung wurde Opfer des geplatzten «AquaDoms» im Radisson Collection Hotel. Als sich der Vorfall am 16. Dezember 2022 ereignete, drangen große Mengen Salzwasser auch in die Ausstellung des DDR Museums. Nach dreieinhalb Monaten hat es nun als erster der betroffenen Mieter geschafft, den erheblichen Schaden zu beheben. Das Museum musste komplett restauriert werden.

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