21. November 2024

«Alles nur geliehen» – Jens Fischer Rodrians neues Album reflektiert das Krisenbewusstsein

Als Spoken Word bezeichnet man ein Genre der darstellenden Kunst, bei dem lyrische Text teils mit musikalischer Begleitung vorgetragen werden. Der Berliner Jens Fischer Rodrian bewegt sich in diesem Metier schon seit Jahren. In dem ersten Album aus dieser Rubrik beschäftigte sich der Künstler noch abstrakt oder persönlich mit der Liebe, lieferte Einblicke in seine Gefühlswelt und setzte sich mit dem Leben allgemein auseinander. Der kürzlich unter dem Titel «Alles nur geliehen» erschienene Nachfolger schlägt hingegen politische Töne an. Aus einer unangepassten Haltung eines Dissidenten verarbeitet Rodrian die noch immer dauernde Krisenzeit, ohne sprachlich über die Stränge zu schlagen. Mit lyrisch gefeilten Zeilen greift er brisante Themen auf – Corona, den Ukraine-Krieg oder die Inhaftierung des Investigativjournalisten Julian Assange, der symbolhaft für den Niedergang von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit steht.

Das ganze Album klingt wie ein Weckruf. In jedem Stück wird der subversive Geist beschworen, der derzeit so viele unzufriedene Bürger vereint. Beispielhaft dafür ist «Niemals auf die Knie». Die Botschaft liegt bereits in dem Titel und wird dann mit pointierten Zustandsbeschreibungen untermauert. In die gleiche Richtung weist «Wir werden bleiben», unterstreicht dabei aber das Zusammengehörigkeitsgefühl. Es kommt als eine Hommage an alle Mutigen daher, die sich den gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Imperativen widersetzen. Ihnen hat Rodrian das Album gewidmet. Im Booklet bezeichnet er sie als Menschen, die sagen: „Ich mach da nicht mit“; als die „Leisen, die im Alltag ohne Applaus Widerstand gegen totalitäre Strukturen leisten“.

Freiheit und Demokratie in Gefahr

So rebellisch wie die Angesprochenen sind auch Rodrians Stücke, in denen der Lyriker und Musiker keinen Hehl daraus macht, dass er Freiheit und Demokratie in Gefahr sieht. „Getrieben sind wir Tag für Tag; der Weg schon voller Leichen“, heißt es in dem Titel, der dem Album seinen Namen gegeben hat. Es sind Worte, die unter die Haut gehen, Erinnerungen wachrufen und nachdenklich stimmen. Bisweilen klingen sie anklagend, so wie in «Die Armada der Irren», einer weiteren Auskopplung, in der Rodrian mit der politischen Willkür während der Corona-Krise abrechnet. Aus der gleichen Zeit stammt «Es gibt ein Leben vor dem Tod». Mit poetischen Nadelstichen durchlöchert der Berliner den damaligen Sicherheitswahn, dem Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit zum Opfer fielen.

So wortgewaltig die Texte das aussprechen, was sich in den letzten Jahren an Wut und Frustration aufgestaut hat, so sanft klingen sie bisweilen in ihrer musikalischen Darbietung. Rodrian setzt oftmals seine Gitarre ein und lässt sie mit Effektinstrumenten interagieren, bis ein sphärischer Sound entsteht, der unter die Haut geht. Hin und wieder dringt er bis zu den Knien durch, bringt die Beine in Bewegung oder animiert zum Kopfnicken. Derart energisch verbreitet unter anderem das Stück «Schatten» seine Botschaft in die Welt. „Wenn wir das Menschliche verlieren“, heißt es darin, „wird es still. / Sitzt das Herz am falschen Fleck, / ist es weg irgendwann.“ Ebenso schwungvoll hält «Lad sie alle zu dir ein» die Menschlichkeit hoch, mit einem Background-Gesang, der wie ein Ohrwurm nachwirkt.

Größtenteils herrschen auf dem Album das Wir oder die kollektive Perspektive vor. Doch es gibt auch ganz persönliche Stücke, in denen Rodrian das Ich zum Vorschein bringt. «Sich kurz fassen» ist eines davon. Es demonstriert das Selbstverständnis des Künstlers und thematisiert zugleich die Bedingungen poetischer Produktion unter dem Druck sowohl der eigenen als auch der gesellschaftlichen Erwartung. Dass er bisweilen Früchte trägt, beweisen Stücke wie «Balladen aus dem Bahnhofsladen». Darin bemüht der Berliner Lyriker eine äußerst metaphorische Sprache und zeichnet Bilder, die das gesellschaftliche Grauen vor Augen führen. Sie enthalten geschichtliche Verweise, aber auch intertextuelle Bezüge. Als solcher ist unter anderem «Wer hat Oma umgebracht» zu verstehen, ein vertontes Poem, das Rodrian von dem Mediziner und Maßnahmenkritiker Wolfgang Wodarg übernommen hat. So wie mit diesem Stück einer prominenten Persönlichkeit aus der außerparlamentarischen Opposition eine Ehre erwiesen wird, huldigt das ganze Album alle, die sich seit drei Jahren trotz Gegenwind für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.

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