Der Name Swetlana Geier ist hierzulande nur ganz wenigen Kennern bekannt. Dabei gilt sie als die größte Übersetzerin russischer Literatur ins Deutsche. Ihr Hauptwerk vollendete sie mit 85 Jahren: Dostojewskijs fünf große Romane. Im Fachjargon spricht man auch von den «fünf Elefanten». An diese Bezeichnung lehnt sich der Titel eines Dokumentarfilms aus dem Jahr 2009 an, der nun auf DVD erhältlich ist. Er führt in das Leben einer beeindruckenden Frau ein, die im Leben viel erlebt hat.
1923 in Kiew geboren, arbeitet sie in jungen Jahren als Hochschullehrerin und Literaturübersetzerin. Kurze Zeit später wird die Stadt von den Nationalsozialisten besetzt, für die Geier von da an Dolmetscherdienste verrichtet. 1943 verlässt sie ihre Heimat und immigriert nach Deutschland, wo ein neues Leben beginnt. Geier absolviert ein Studium der Literaturwissenschaften, gründet eine Familie und beginnt, russische Werke zu übersetzen. Sie lehrt an Universitäten und macht sich mit ihrer Expertise einen Namen. Sie arbeitet hart und mit großem Fleiß, bis ins hohe Alter. „Für Pausen bin ich zu alt“, soll sie Vadim Jendreyko gesagt haben, der sie für den Film zu Hause in Freiburg-Günterstal besuchte.
Der Regisseur hält mit seiner Kamera einzigartige Szenen fest. Die Übersetzerin gewährt einen persönlichen Einblick in ihr Leben, indem sie sich beim Einkaufen auf dem Markt, beim Kochen, Bügeln oder Arbeiten zeigt. Gerade diese Momente sind ein Leckerbissen für alle Literaturfans. Jendreyko folgt ihr mit der Kamera bis in den Denkprozess. In Großaufnahmen sieht man, wie Geier über Formulierungen brütet, sich die Worte zurechtlegt und an einer adäquaten Übersetzung feilt. Hilfe bekommt sie von einer Assistentin, die jeden Satz auf der Schreibmaschine tippt, den ihr die Meisterin mündlich weitergibt.
Rückkehr nach Kiew
Jendreyko, der in dem Film die ganze Zeit hinter der Kamera bleibt, kommentiert die Szenen aus dem Off und liefert den biografischen Kontext, indem er an den wichtigsten Stationen Halt macht und zwischendurch Archivaufnahmen oder alte Schwarz-Weiß-Fotos hineinschneidet. Eine dramaturgische Steigerung bekommt der Film, als Geier mit dem Zug nach Kiew aufbricht. Seit ihrer Immigration nach Deutschland war sie nicht mehr dort gewesen. An ihrem Geburtsort kehrt Geier schließlich zu alten Wirkungsstätten zurück, und so manch eine Erinnerung weckt unangenehme Gefühle, wie ihr Gesichtsausdruck zu verstehen gibt. Die Übersetzerin erlebt aber auch schöne Momente, die ihr Herz wieder höher schlagen lassen.
In Kiew gibt sie auch Lehrstunden für angehende Übersetzer und vermittelt ihnen, worauf es in ihrem Beruf besonders ankommt. Wenn Geier anfängt, über die Unterschiede der deutschen und russischen Sprache zu sprechen, merkt man augenblicklich, wie gut sie sich in der Materie auskennt. Es ist ein Genuss, ihr zuzuhören. Immer wieder bringt sie einen Geistesblitz hervor, der überraschend wirkt, aber ins Schwarze trifft. Die Klarheit ihres Denkens ist beeindruckend. Ihre Ausführungen dringen tief in das Wesen der menschlichen Kommunikation ein und entwickeln einen philosophischen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Wer Sprache und Literatur liebt, muss diese Frau erlebt haben. Der Dokumentarfilm gibt dazu die beste Gelegenheit.