Seit der Corona-Krise steht das Weltwirtschaftsforum (WEF) im Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion. Agierte die Organisation bis dahin eher im Hintergrund, sucht sie mittlerweile sehr aktiv die Öffentlichkeit. Ob Klimawandel, Ukraine-Krieg, Digitalisierung oder Gesundheit – es gibt kein gewichtiges Thema, zu dem sich das WEF nicht äußert. Nach außen gibt es sich als Wohltätigkeitsorganisation, die anstrebt, zahlreiche Probleme zu lösen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Kritiker sehen in ihr jedoch einen Elitezirkel, dem es weniger um die Beseitigung von Hunger, Armut und Ungleichheit geht als um Macht und Kontrolle. Zu ihnen gehört unter anderem die Journalistin Miryam Muhm. In ihrem neuen Buch «Die Krake von Davos» stellt sie das Weltwirtschaftsforum vor und lenkt die Aufmerksamkeit auf dessen Schattenseiten.
Bereits auf den ersten Seiten wird das WEF beschrieben als ein Knotenpunkt einflussreicher Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Medien. Die Initiative gehe jedoch von der Organisation selbst aus, so Muhm. Sie bemühe sich darum, „alle möglichen Organisationen und Institutionen in seine globale Agenda“ einzubinden. Wie diese aussieht, liefert die Autorin umgehend nach: Dem Weltwirtschaftsforum gehe es „um nichts Geringeres, als eine neue Weltordnung für die Wirtschaft zu schaffen“. Sie verweist dabei auf die vielen Techniken, mit denen die „Tentakel der Krake“ Zugriff auf entscheidende Personen und Institutionen bekommen. Erwähnt werden unter anderem die Programme „Global-Leadership“ oder „Global Shapers“, aber auch „Zentren und Plattformen, die sich eingehend mit der Zukunft wesentlicher Aspekte unseres Lebens befassen – zum Beispiel Konsumverhalten, Medien und Datengesetze, Handel und Investitionen sowie neueste digitale Technologien wie Blcokchains.“
Kooperierende Institutionen
In einem kurzen geschichtlichen Abriss zeigt Muhm, wie das Weltwirtschaftsforum seit seiner Gründung an Einfluss gewonnen hat. Traf sich dort zu Beginn noch ausschließlich die Wirtschaftselite, stießen nach und nach Regierungschefs, weitere Politiker, Professoren und Vertreter von NGOs dazu. Heute, so die Autorin, infiltriere die Organisation die Regierungen mit ihren Leuten, „um die Vorhaben der Kapitalelite gezielt und schneller durchzusetzen“. Muhm nennt aber auch sämtliche Institutionen, die mit dem WEF eng kooperieren, von Mastercard über die Rockefeller-Stiftung bis hin zu den großen Pharmaunternehmen wie Pfizer.
Eine große Rolle in den Ausführungen spielt der WEF-Chef Klaus Schwab. Muhm stellt ihn nicht nur biografisch vor, sondern zitiert aus seinen Büchern oder kommentiert dessen Aussagen in der Öffentlichkeit. Thematisiert wird insbesondere Schwabs Vision von der „vierten industriellen Revolution“, die mit transhumanistischen Ideen genauso einhergeht wie mit dem Wunsch, die Gesellschaft möglichst schnell durch einen „Großen Umbruch“ zu transformieren. Ebenfalls oft taucht der Name Henry Kissinger auf. Muhm bezeichnet den ehemaligen US-Außenminister und Politikberater als „Graue Eminenz“, der seit eh und je einen großen Einfluss auf Klaus Schwab ausübe. Von Kissinger gehe auch die Initiative aus, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der transnationale Institutionen wie das Weltwirtschaftsforum quasi als „Weltregierung“ fungierten. Kritische Seitenhiebe erhält zudem die gegenwärtige EU-Hauptkommissarin Ursula von der Leyen, obwohl sie anders als Kissinger nicht als Taktgeberin eingeführt wird, sondern als eine Art „Marionette“, die die Interessen des WEF vertritt.
Themen des WEF: Von bargeldloser Gesellschaft bis Transhumanismus
Bereits solche Fokus-Verschiebungen lassen die fehlende Systematik des Buches erkennen. Muhm springt in der Darstellung zwischen unterschiedlichen Aspekten, baut häufig Exkurse ein und driftet manchmal ab, um zum Beispiel abseitige Themen wie den „Währungskrieg um die Vormachtstellung des Dollars“ zu erörtern. Wenn sie dann den Weg zurück zum WEF findet, geht es hauptsächlich darum, anhand bestimmter Aspekte zu zeigen, wie hier alle Fäden zusammenlaufen. Dabei dominieren Projekte wie die Abschaffung des Bargeldes, die Verbindung von Mensch und Maschine oder die Reduzierung von CO2. In diesen Zusammenhängen akzentuiert die Autorin nicht selten die Widersprüche zwischen der öffentlichen Selbstdarstellung des WEF und dessen tatsächlichem Handeln. So wird beispielsweise eine Oxfam-Studie zitiert, aus der hervorgeht, dass der CO2-Verbrauch der mit dem WEF verbundenen Reichen aufgrund ihres exorbitanten Konsums stetig in die Höhe geht.
Wie auf solche Studien bezieht sich Muhm in ihren Ausführungen auf Monografien, öffentliche Interviews und auf journalistische Quellen, selbst aus den sogenannten alternativen Medien. Ihr Fazit klingt alarmierend: Das Weltwirtschaftsforum stelle eine Bedrohung für die Demokratie dar. Deren formale Strukturen würden benutzt, um die Interessen einer kleinen Elite zu verwirklichen. Doch es gebe auch Hoffnungsschimmer, so die Autorin. In ihrer Schlussbetrachtung nennt sie einige Lichtblicke, zu denen unter anderem gehört, dass immer mehr Menschen bewusstwerde, wie sich die Gesellschaft schrittweise von den Werten der Demokratie entfernt. Wenn sie also „zunehmend spüren und erkennen, dass wir uns einer technokratischen Plutokratie nähern“, schreibt Muhm, „besteht ja vielleicht die leise Hoffnung einer friedlichen Auflehnung gegen das unterjochte System, und zwar noch bevor uns die Elite voll und ganz unter ihrer Kontrolle hat“.