Kunst und Kultur dienen seit jeher als mächtiges Sprachrohr, über das sich Botschaften sowohl auf emotionaler als auch rationaler Ebene übermitteln lassen – auch kritische. Nicht umsonst stieg die Produktion künstlerischer Werke in der Corona-Zeit, als viele Menschen zunehmend Missstände bemerkten. Innerhalb der ersten Jahre ist geradezu eine parallele Kulturindustrie entstanden, innerhalb derer die Akteure bis heute auf Fehlentwicklungen und -Entscheidungen hinweisen – allen voran die Musiker. Die Zahl kritischer Songs zur Corona-Politik steigt stetig. Mittlerweile entstehen aber auch Stücke, in denen nach dem gleichen Prinzip eine Auseinandersetzung mit Ereignissen rund um den Ukraine-Krieg erfolgt.
Der Song «Heuchler» des unter Pseudonym auftretenden Künstlers DG Talis akzentuiert etwa die Doppelmoral der woken Meinungsführer und der Regierungen im sogenannten Westen und benennt die vielen Widersprüche. Die zeigten sich unter anderem in der Haltung und den Narrativen zum Ukraine-Krieg. DG Talis unterstreicht das, indem er die Rolle der USA beleuchtet, ohne sie direkt zu nennen: „Wer hat schon Krieg geführt, ist illegal wo einmarschiert / Und wurde dafür bis zur Stunde niemals sanktioniert?“ Es muss nicht ausgesprochen werden, um wen es sich handelt. Das ist den meisten bekannt. Darin liegt gerade die Tragik – und die Doppelmoral.
Obwohl sich die Meinungsführer in Politik, Medien und Kultur der Rolle der Vereinigten Staaten bewusst sind, kehren sie deren Angriffskriege unter den Teppich, während sie im Empörungsmodus Russlands Invasion verurteilen. Ebenfalls subtil erfolgt in dem Song der Hinweis darauf, dass jene sich gerne als Pazifisten aufspielen und sich öffentlichkeitswirksam solidarisch mit der Ukraine zeigen, aber über gewaltsame Auseinandersetzungen andernorts schweigen: „Seit sieben Jahren ist auch Krieg in Jemen, echt kein Scheiß / Die Flagge Jemens ist im Übrigen rot-schwarz-weiß.“ Mit Doppelmoral fallen in der Bundesrepublik insbesondere die Grünen auf. Ihnen widmet DG Talis ebenfalls ein paar kritische Zeilen, die nach dem gleichen Muster gestrickt sind. Er nennt sie nicht direkt, sondern erinnert lediglich an ihr Wahlversprechen, keine deutschen Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Heute setzt sich dafür niemand so vehement ein wie die Grünen. „Man ist so ein Heuchler, so ein Heuchler“, lautet der Refrain des poppigen Songs mit sprechgesanglichen Einsprengseln. „Man ist so ein Heuchler, so ein Heuchler.“
Gangsters Paradise
Den Aspekt der Doppelmoral betont auch das Rapbellions-Duo Lapaz und Bustek. In ihrem Song «Gangsters Paradise» reagieren sie wortgewaltig auf die Kriegspolitik der Bundesregierung und kritisieren nicht nur deren unterwürfige Haltung gegenüber den USA, sondern deren Bereitschaft, den Konflikt zu befeuern: „Jetzt schickt ihr deutsche Kampfpanzer auf den Weg Richtung Osten“, rappt Lapaz in seinem Part. „Krieg’ das Kotzen, wenn ich dran denk wie viele Leben das kostet!“ Am Ende wendet er sich direkt an die Bundesregierung und alle jene, die ihren Kriegskurs mittragen: „Ich mein, könnt oder wollt ihr nicht sehen was hier los ist? / Tag für Tag wird Hass größer und die Hetze mehr.“
Nach dem Refrain, in dem die beiden Rapper an den Verstand und den Widerstandsgeist appellieren, schließt Bustek an das Problem der Waffenlieferung an und führt im energischen Sprechgesang vor Augen, was das eigentlich bedeutet: „Deutsche Panzer rollen wieder, wir sind wieder Kriegspartei / Scholz ist wieder eingeknickt und zieht uns in den Krieg mit rein“, rappt er mit Entrüstung über die rasante Entwicklung: „Bilden Ukrainer aus, die Forderungen werden immer lauter / Nach den Panzern, Kampfjets, U-Boote und Kampfhubschrauber / Wir liefern Waffen, Waffen, immer mehr neue Waffen / Und irgendwann sind es dann, ey, deutsche Soldaten statt Diplomaten.“
The Lowlands of Holland
Einen eher historisch grundierten Beitrag hat hingegen Franz Esser geleistet. Der Musikkabarettist veröffentlichte vor wenigen Tagen seine eigene Version des Antikriegslieds «The Lowlands of Holland», das im 18. Jahrhundert in Schottland entstand und sich auf den britischen Inseln verbreitete. Esser hat sich für die irische Variante um 1914 entschieden, die aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammt. Im Original geht es um die Wehrpflicht eines jungen Mannes und die Trauer der Frau, nachdem er gefallen ist. „Aus dem Hochzeitsbett direkt an die Front und in den Tod“, kommentiert Esser das Werk. „Diese grausame Geschichte – zigtausendfach geschehen – erzählt dieses eindringliche Lied aus der Zeit des ersten Weltkrieges.“ Thematisiert wird unter anderem die Zwangsrekrutierung, die in den europäischen Nationen früher auf unterschiedliche Weise genutzt wurde. Esser zieht damit eine Parallele zu der Diskussion in Deutschland rund um die Wiedereinführung der Wehrpflicht und rückt ins Bewusstsein, welche verheerende Wirkung sie hat.
So unterschiedlich die jeweiligen musikalischen Beiträge sind, sie alle zielen darauf ab, den gegenwärtigen Konflikt nicht mit Waffen zu lösen, sondern diplomatisch und redlich. Mit ihnen wird eine lange Tradition von Antikriegsliedern fortgesetzt, die seit mehreren Monaten die Serie «Friedensnoten» nachzeichnet. Sie beruht auf der Idee, über die Kraft der Musik eine Protestwelle auszulösen und Künstler dazu zu animieren, eigene Antikriegslieder zu produzieren. Die vorgestellten Stücke sind der beste Beweis, dass diese Strategie aufgeht.