Die Nöte und Sorgen der sogenannten „normalen“ Leute geraten zunehmend aus dem Blick. Der Politik, so scheint es, geht es vielmehr darum, die Interessen der Eliten durchzusetzen. Selbst linke Parteien und Institutionen aus der Zivilgesellschaft beschäftigen sich eher mit Gender-Fragen als mit den Lebensumständen derjenigen, die nicht zur gesellschaftlichen Mittel- oder Oberschicht gehören. Selbst Musiker wenden sich anderen Themen zu, um in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie bessere Chancen zu haben. Bands wie Pulp sind rar geworden. Die britische Pop-Gruppe setzte sich wie keine andere mit dem Schicksal der unteren Klasse auseinander, was in Songs wie «Common People» zum Tragen kommt. An dieses Vermächtnis erinnert die 2014 erschienene Dokumentation «Pulp – A Film About Life, Death and Supermarkets».
Im Mittelpunkt steht das letzte Konzert der Gruppe in ihrer Heimatstadt Sheffield. Sie war einer der Ursprungsorte der Industriellen Revolution und gilt seit jeher als ein Zentrum der Arbeiterklasse. Dieses Stadtflair hat die beiden Bandgründer Jarvis Cocker und Peter Dalton geprägt und sie zu Songs inspiriert, mit denen sie sich vor allem an das einfache Volk richteten. Nachdem Pulp in den 1990er Jahren Weltruhm erlangt hatte, wurde es eine Weile still um die Band. 2012 kehrte sie noch einmal zurück – für jenes Konzert, aus dessen Tag Regisseur Florian Habicht sein Filmmaterial hauptsächlich bezieht. Er begleitet nicht nur die Protagonisten vor und hinter der Bühne, sondern porträtiert zeitgleich die Stadt Sheffield als deren Wirkungsfeld und Inspirationsquelle.
Interviews mit den «gewöhnlichen» Leuten
Zum Leben erweckt werden sie durch die vielen Aussagen jener „normalen Leute“. Sie beschreiben ihr Lebensgefühl, erläutern, was sie an der Stadt lieben, und sprechen über ihre Eigentümlichkeiten. Habicht zeigt sie in ihrer gewöhnlichen Umgebung, meistens bei der Verrichtung ihrer Arbeit oder in Wirtshäusern, wo die Gäste schon mal ein Lied anstimmen. Zu Wort kommen Fleischer wie Zeitungsverkäufer, alleinerziehende Mütter wie Rentnerinnen, aber auch Fans, die sehnlichst auf das abendliche Konzert warten. Interviewt werden zudem Nachwuchsmusiker, die wie einst Jarvis Cocker und Peter Dalton von einer großen Karriere träumen. Welche Strapazen das professionelle Geschäft mit sich bringt, erzählen schließlich die Bandmitglieder selbst. Panikattacken, Stress, mediale Kritik: Es sind Begleiterscheinungen, die dem stilisierten Leben eines Pop-Stars den Glanz nehmen.
Wenn die Musiker über das Showbiz sprechen, wirken sie genauso bescheiden wie die einfachen Leute, über die sie singen. In ihren Songs geht es allerdings nicht nur um dieses eine Thema, wie die Dokumentation veranschaulicht, sondern auch um solche, die den Alltag bestimmen – um Sex zum Beispiel. Doch in seiner Beschreibung zeigt sich die Band ebenfalls sehr bodenständig. Die Worte kreisen nicht um den Akt selbst, sondern um Phänomene, mit denen er oftmals einhergeht: um Verlegenheit, Kleidungsstücke, Hintergedanken. Es wirkt weniger spektakulär, aber dafür authentischer – aus dem Leben gegriffen statt aus dem Kosmos der übersexualisierten Vergnügungsindustrie.
Die Aura des Gewöhnlichen, das die Band sowohl thematisch als auch in ihrer Haltung ausdrückt, wird im Film abgerundet durch ruhige Schnitte und eine konventionelle Machart. Regisseur Habicht setzt weder auf Specialeffekte noch auf Kommentare aus dem Off, sondern lässt die Bilder selbst sprechen. Sie beeindrucken durch eine schlichte Ästhetik und eine einnehmende Atmosphäre, die insbesondere auf dem Pulp-Konzert zu Vorschein kommt. Dort zeigt sich nicht zuletzt die exhibitionistische Ader des Frontmanns Jarvis Cocker. Mal wälzt er sich auf der Bühne, mal heizt er die Menge mit körperbetonter Gestik an. Zum Schluss wendet er sich an das Publikum und singt die berühmten Zeilen: „Ich will mit gewöhnlichen Menschen wie euch leben. Ich will leben mit gewöhnlichen Menschen wie euch.“