Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Corona-Politik lässt sich im Wesentlichen auf den Konflikt zwischen zwei Werten herunterbrechen. Es geht um Freiheit und Sicherheit, die sich diametral gegenüberstehen. Beide sind dialektische Begriffe. Je mehr Freiheit, desto weniger Sicherheit – und umgekehrt. Während der Corona-Krise wird das überaus deutlich. Die Politik setzt auf Sicherheit und verhängt Maßnahmen, die bürgerliche Freiheiten teilweise extrem einschränken. Die Dominanz des Sicherheitsdenkens geht sogar so weit, dass die gesellschaftliche Entwicklung immer mehr dystopisch anmutet. Auf diesen Aspekt will das Kunstvideo «Coronarrativ» aufmerksam machen.
In dem knapp siebenminütigen Clip bewegt sich der Protagonist im Ganzkörperschutzanzug und Gasmaske durch den Wald in den Alpen, wo sich außer ihm keine Menschenseele befindet. Die totale Sicherheit, lautet die Aussage, gibt es nur, wenn man sich abseits der Zivilisation verschanzt. Es handelt sich um eine bewusste Überspitzung, in der die Dystopie durchschimmert. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Soll der Wert der Sicherheit so vorherrschend sein, dass wir uns freiwillig isolieren? Diese und andere Fragen wirft das Video auf, indem es das Leben in der völligen Abgeschiedenheit in finstere Bilder übersetzt. Teilweise werden sie so verfremdet, dass manche Sequenzen wie eine Animation wirken. Die dargestellte Welt bekommt dadurch eine abstrakte Ebene, auf der sich das Dystopische nicht greifen, aber erahnen lässt.
Düstere Klänge und O-Töne
Zur düsteren Atmosphäre trägt auch der tiefe Sound bei. Monoton-erratische Klänge werden von langsamen Trommelschlägen begleitet, die die Dramatik verstärken. Sie erzeugen ein beklemmendes Gefühl, haben aber auch etwas Forderndes. Zum Einsatz kommt dabei eine schamanische Trommel, die lediglich aus Holz und Tierfell besteht. „Mit ihr soll auch auf die unzureichende Anbindung an Natur und Spiritualität hingewiesen werden“, erklärt der dahinterstehende Künstler, der das Video im Frühjahr produziert hat. Um den Denkprozess der Zuschauer anzuregen, hat er mehrere Aussagen von Politikern und WHO-Vertretern hineingeschnitten. Darunter befinden sich unter anderem Ausschnitte aus Jens Spahns bekanntem Interview, in dem er im Sommer 2020 selber darauf verwies, dass „zu umfangreiches Testen“ zu viele falsch-positive Ergebnisse generiere.
Solche Aussagen, die meist aus der Anfangszeit der Corona-Krise stammen, hätten eigentlich intensiver diskutiert werden sollen. Stattdessen gingen sie in der Berichterstattung unter. Ihre Einbindung in das Kunstvideo konfrontiert die Zuschauer mit der Frage, warum das nicht geschehen ist. „Man kann sie auf sich wirken lassen“, sagt der Künstler, „und beobachten, welche Denkprozesse sie auslösen“. Der Effekt werde ein unterschiedlicher sein, je nachdem, wie vertraut man mit den Aussagen sei. Wer sie im Kunstvideo zum ersten Mal höre, werde sicherlich ganz andere Assoziationen haben als Menschen, die sie bereits kennen.
Am Ende des Clips klingen dann hoffnungsvollere Töne an. Die Musik wird theatralischer, die Bilder spiritueller. Der Protagonist befindet sich in einer Kirche und hält die Hände zum Gebet hoch, während ein Merkel-Zitat zu einer je eigenen Interpretation einlädt: „Haben wir es weitgehend selbst in der Hand, um uns selbst und unsere Gemeinschaft vor Schlimmen zu bewahren“. Auf diese Weise soll ein positiver Ausweg geboten werden. Wir sind selbst Gestalter unserer Zukunft, lautet die Aussage. Mit ihr erfolgt ein Appell an die Zuschauer, darüber nachzudenken, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Das Kunstvideo eröffnet somit einen Diskussionsraum und lädt alle dazu ein, sich mit der Ausgestaltung der neuen Normalität auseinanderzusetzen. Toleranz, Vielfalt und Wertschätzung sollten dabei eine große Rolle spielen.