«Corona Culture – What the fuck is happening?» – Eine Kunstausstellung wirft einen differenzierten Blick auf die Krise

What the fuck is happening? Treffender lassen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse während der Corona-Krise kaum beschreiben. Unter diesem Titel lädt seit dem 13. Oktober eine neue Ausstellung in der Alten Münze in Berlin zum Nachdenken darüber ein, was in den letzten 19 Monaten eigentlich passiert ist und wohin die Reise weitergehen könnte. Auf knapp 4000 Quadratmetern des ehemaligen Münzprägewerks präsentieren über 100 Künstler aus mehr als 30 Nationen ihre Werke, die sich auf unterschiedliche Art und Weise damit auseinandersetzen, inwiefern sich unsere Werte, Beziehungen und Sehnsüchte im Zuge der Corona-Krise verändern. „Die Ausstellung soll keine Antworten liefern, sondern Fragen aufwerfen“, sagt Halea Isabelle Kala.

Die 32-Jährige ist eine von drei Kuratoren, die die Schau realisiert haben. Sie spricht von einem „Metaprojekt“, das einen differenzierten Blick auf die Corona-Krise ermöglichen soll. Gegliedert ist die Ausstellung in fünf Kapitel. Wer sie durchläuft, wird sich schnell an die prägnanten Phasen erinnern. Am Anfang stand das Bedürfnis, inmitten der Informationsüberflutung die Orientierung zu behandeln. Es machte sich große Verwirrung breit, so dass sich für viele die Frage stellte, was und wem sie glauben sollten bzw. konnten. Diese Stimmung versuchen Arbeiten einzufangen, die unter dem Begriff «Überwältigung» zusammengefasst sind.

Brisante Themen

Das zweite Kapitel widmet sich der Phase danach, als eine unheimliche Stille einkehrte. Lehrgefegte Straßen und geschlossene Läden prägten das Stadtbild. Die Menschen sperrten sich in den eigenen vier Wänden ein und verließen nur dann das Haus, wenn sie Einkäufe erledigen mussten. Das brachte wiederum neue Probleme mit sich. Häusliche Gewalt nahm genauso zu wie die Fälle von Suizidversuchen. „Im Grunde werden hier Themen behandelt, die schon vor der Corona-Krise brisant waren, aber erst dann stärker in das öffentliche Bewusstsein drangen“, erklärt Kala dieses Ausstellungskapitel, das mit «Synchronizität und Stille» überschrieben ist.

Um Normalisierungsprozesse geht es hingegen in dem dritten Teil. Die Arbeiten beschäftigen sich mit der Leistung der menschlichen Psyche, die sich überraschend schnell an neue Begebenheiten anpassen kann. „Es handelt sich um kleinteilige, persönliche Notizen“, so die Kuratorin. Sie reflektierten, wie schnell Masken oder Verhaltensweisen wie Abstandhalten normal werden. Während dieses Kapitel sich mit der Zeit zwischen Spätfrühling und -herbst auseinandersetzt, widmet sich «Marathon der Ungewissheit» der Phase, die mit dem zweiten Lockdown eingeleitet wurde. „Plötzlich kamen ganz neue Ängste hoch“, kommentiert Kala dieses Kapitel. „Bis dahin dachte man noch, die Corona-Krise würde eine Kurzzeiterscheinung bleiben und könnte möglicherweise positive Veränderungen zeigen.“ Mit dem zweiten Lockdown sei jedoch klar gewesen, dass sie sich noch viel länger hinziehen dürfte.

Foto: Ninae Schoenefeld

Während das vierte Kapitel wirtschaftliche Sorgen und das Leid der Kleinen in den Blick nimmt, changiert das fünfte zwischen zwei Extremen. Die Arbeiten reflektieren sowohl über dystopische als auch utopische Entwicklungen. Es geht um Horrorszenarien und um Potenziale. Die Gesellschaft könnte in eine Diktatur hineinschlittern, aber auch zusammenwachsen, zu einer Art Menschheitsfamilie werden, die jegliche Grenzen überwindet. Darauf spielt ein schwingender Stein an einem Drahtseil an – eine Arbeit, in der sich, wie Kala es ausdrückt, „widerspiegelt, wie klein wir doch sind“. Für die Muttererde hätten wir überhaupt keine Bedeutung. Es gehe einfach weiter.

Spaltung überwinden

In der Ausstellung kommen unterschiedliche Medien zum Einsatz, die den Besuchern eine sinnliche Erfahrung ermöglichen und zugleich intellektuell stimulieren sollen. Es geht darum, möglichst alle Aspekte der Corona-Krise zu beleuchten, ohne propagandistisch zu wirken. Das ist dem Kuratorenteam wichtig. Die Ausstellung soll weder von der einen noch von der anderen Seite vereinnahmt werden – weder von Maßnahmen-Kritikern noch von Maßnahmen-Befürwortern. Um die Spaltung zu überwinden, sollen die Besucher mit der Frage konfrontiert werden, welche persönlichen Hintergründe die eine oder andere Entscheidung haben könnte. „Im Wesentlichen stehen sich zwei Werte gegenüber: Freiheit und Sicherheit“, sagt Kala. „Was die Menschen als wichtiger erachten, hat oftmals mit ihrer persönlichen Geschichte zu tun.“ Jede Entscheidung sei deshalb vielschichtig. Darüber gelte es nachzudenken.

Der Titel der Ausstellung ist bewusst so gewählt, dass er einerseits den gegenwärtigen gesellschaftlichen Wahnsinn zum Ausdruck bringt und andererseits dessen Fortschreiten betont. „Es fühlt sich nicht abgeschlossen an“, so die Kuratorin. „Es steht noch viel Arbeit an.“ «Corona Culture – What the fuck ist happening?» soll deshalb Impulse setzen. Die Ausstellung läuft noch bis zum 13. November, wobei an den Wochenenden das Programm ausgeweitet wird. Abends finden Screenings, Workshops und auch Konzerte statt. Die Veranstaltung soll zu einer Begegnungsstätte werden, wo Besucher in einen regen Austausch kommen. Die vielen Kunstprojekte liefern dafür eine ideale Grundlage. Genauso wie der gegenwärtige Wahnsinn nur schwer zu fassen ist, bieten auch sie einen großen Interpretationsspielraum.

Titelbild: Hadas Hinkis / ©Tobi Jall

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