Melancholische Töne, farbige Metaphern, kritische Zeilen – Bettina Wegners Lieder zeugen von persönlichen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichem Engagement und künstlerischem Ausdruckswillen. In ihnen schwingt Lebenserfahrung mit, die man sich erst erarbeiten muss. Wegner hat so manches Tal durchlaufen, aber auch große Momente gefeiert. Ihr biografischer und künstlerischer Werdegang gehört zu den spannendsten des 20. Jahrhunderts. Anlässlich ihres 75. Geburtstags hat der Regisseur Lutz Pehnert ihr ein Denkmal gesetzt, in einem Dokumentarfilm, der auf der Berlinale 2022 seine Premiere feierte und nun auf DVD erschienen ist.
«Bettina», so der schlichte Titel, erweist sich als ein vielschichtiges Porträt. Pehnert erzählt das Privat- und Künstlerleben seiner Protagonistin so geschickt, dass der Film trotz Zeitsprüngen einer Chronologie folgt. Wegner war in Westberlin geboren worden, wuchs in Ostberlin auf und wurde mit 36 Jahren wieder nach Westberlin ausgebürgert. Als mutiger Widerstandsgeist kam sie permanent mit der Staatsmacht in Konflikt, weshalb die SED-Führung irgendwann die Reißleine zog. Zuvor wurden ihr Steine in den Weg gelegt, nachdem Wegner die Biermann-Petition mitunterzeichnet hatte. Konzertanfragen kamen in der Folge immer seltener, weshalb die Liedermacherin in der BRD spielen musste, um das praktische Auftrittsverbot zu umgehen.
Parallelen zur Gegenwart
Was Wegner widerfuhr, wird heute als Cancel Culture bezeichnet. Dass sie seit geraumer Zeit im vermeintlich liberal-demokratischen Westen genauso besorgniserregende Züge annimmt wie in der einstigen DDR, macht Pehnerts Film sehr aktuell. Der Regisseur zieht jedoch eine weitere Parallele zur Gegenwart, indem er Wegners Vernehmung aus dem Jahr 1968 aufgreift und den Originalton abspielen lässt. Im Zusammenhang mit dem Prager Frühling protestierte die Liedermacherin damals mit einer Flugblätter-Aktion gegen die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei, wurde jedoch von der Staatsmacht verhaftet und anschließend zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Verhör gibt sich Wegner standhaft und ehrlich, wirkt authentisch und gefasst. In ruhigem Ton erläutert sie ihre Beweggründe, ohne Ausflüchte zu machen.
Zeit Lebens fühlt sich Wegner nur ihrer Moral verpflichtet. Davon zeugen ihre zahlreichen Lieder, die Werte wie Meinungsfreiheit, Courage oder Wahrhaftigkeit hochhalten. Sie setzen sich mit sozialem Unrecht auseinander, thematisieren aber auch zwischenmenschliche Probleme. Einen besonders großen Raum nehmen Liebeslieder ein. Wegner schreibt sie seit ihrem zwölften Lebensjahr und hat bis heute Freude daran, obwohl die Stücke meist traurig sind. Pehnert lässt sie im Film oft erklingen, indem er Archivaufnahmen früherer Auftritte verwendet, Wegner zu den Proben mit ihrer Band folgt oder passende Songs im Hintergrund abspielt, um die montierten Fotografien zu untermalen.
Mehrere Handlungsstränge
Der Regisseur macht das sehr kunstvoll. Bild und Ton korrespondieren auf eine Weise, die den Kontext liefert, ohne auf einen übergeordneten Erzähler zuzugreifen. Die Originalaussagen aus dem Verhör etwa dienen zugleich als Steckbrief, der die Protagonistin vorstellt. In einer anderen Sequenz trägt Wegner bei einem früheren Auftritt in der DDR ein Lied mit einer Kinderstimme vor. Darauf folgt eine Montage mit Fotografien, auf denen sie als junges Mädchen zu sehen ist. Dramaturgisch arbeitet Pehnert mit mehreren Handlungssträngen, die er gekonnt verzahnt. Ein weiteres wichtiges Element neben dem Verhör und den Probeaufnahmen aus der Gegenwart bildet ein Interview, das die Protagonistin mit dem Filmemacher in ihrem Haus führt. Dort plaudert sie über ihre Beziehungen und ihre frühere Stalin-Verehrung, über berufliche Querelen und den Hang zum Berliner Dialekt.
In diesen Szenen gibt die Künstlerin einen Einblick in ihr Seelenleben und muss bisweilen mit den Tränen kämpfen. Eine so reiche Vita hinterlässt Spuren. Aber Wegner versteht es, sie beherzt wegzuwischen. Ihre Erfahrungen kanalisiert sie musikalisch, so energiegeladen wie eh und je. Wer den Film schaut, bekommt den Eindruck, dass die Künstlerin weitere 75 Jahre auf der Bühne stehen könnte. „Aufrecht stehen, wenn andere sitzen“, heißt eine ihrer berühmten Liedzeilen. Sie selber macht es noch in hohem Alter vor.
Titelbild: @Werner Popp