Auf den bis heute andauernden Demonstrationen gegen die Corona-, Energie- und Kriegspolitik der Regierung tummeln sich hauptsächlich Menschen, die das 40. Lebensjahr längst überschritten haben. Junge Erwachsene muss man mit der Lupe suchen. Die Generationen Y und Z glänzen nicht nur durch Abwesenheit, sondern auch durch Konformismus. Grundrechtseinschränkungen bringen diese zwischen 1980 und Mitte der 1990er Jahren Geborenen genauso wenig aus der Fassung wie die offensichtlich totalitären Tendenzen. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie brav auf Regierungslinie. Mit dieser Bevölkerungskohorte und deren Mentalität beschäftigt sich der Publizist Milosz Matuschek in seinem Buch «Generation Chillstand», das er 2018 lange vor der Corona-Krise geschrieben hat, das aber heute aktueller als damals erscheint.
Die Muster der Zukunft ließen sich bereits aus der Gegenwart ableiten, schreibt der in der Schweiz lebende Autor im Vorwort zur aktualisierten Ausgabe. Erschienen ist sie nicht bei dem früheren Herausgeber dtv, sondern im Westend Verlag, der die Publikation übernahm, nachdem der Vorgänger Matuschek mitgeteilt hatte, dass er das Buch aus dem Programm nehme. Grund dafür war wohl dessen kritische Haltung gegenüber der Corona-Politik. Er äußerte sie in einem öffentlichkeitswirksamen NZZ-Artikel, der daraufhin als Podcast bei KenFM wiederverwertet wurde. Das führte dazu, dass Matuschek seine Kolumne bei der Schweizer Zeitung verlor und im Mainstream zur Persona non grata wurde. Er ruderte jedoch nicht zurück, sondern bürstet bis heute die offiziellen Narrative gegen den Strich. Kurzum: Er, der 1980 Geborene, beweist das, was seiner Generation fehlt – Mut.
Bieder- statt Rebellentum
In seinem Buch attestiert er ihr Gehorsam und allgemeine Blindheit für Muster. Die Charakterisierung „Chillstand“ im Titel spielt auf diese Passivität an. Sie akzentuiert eine Geisteshaltung, die mehr auf Bequemlichkeit als auf Aufmüpfigkeit und Rebellentum basiert. Die Ursachen dafür sieht Matuschek in den Bedingungen des Aufwachsens. Überbehütung und zu viel guter Wille hätten die Generationen Y und Z verweichlicht: „Überall wird gepäppelt, überschwänglich gelobt und gefürsorgt, bis der Arzt kommt“, heißt es an einer Stelle. „An jeder Ecke lauert heute eine freundliche Aggression, eine Hilfestellung, eine Krücke.“ Solche Umstände machten es schwer, die Welt mit eigenen Augen zu entdecken. Die fortschreitende Digitalisierung befeuere sogar diese Entwicklung. Wenn jemand heutzutage einen Moment des Mutes und Wagnisses erwische, nähmen ihn bestimmt mindestens fünf smarte Geräte auf, „um die bemüht authentisch wirkende Darstellung aufzuzeichnen“.
Was die Erzieher von heute falsch machen, veranschaulicht Matuschek in einer allegorischen Geschichte, die am Beginn seines Buches steht. Darin schauen Freunde einer Raupe zu, wie sie sich über Minuten abmüht, aus ihrer Puppe zu kriechen. Nach einer Weile helfen sie ihr schließlich dabei, um ihr schneller dazu zu verhelfen, ein Schmetterling zu werden. Doch sie bewirken genau das Gegenteil – die Raupe stirbt. Denn der Befreiungskampf aus der Puppe ist nötig, damit der Schmetterling die Kraft aufbaut, die später nötig ist, um die Flügel auszubreiten. Nicht anders ergehe es laut Matuschek der Generation Chillstand, die auf das Leben nicht vorbereitet werde. Ihr fehle Kraft für die Bewältigung der Herausforderungen: „Das Kunststück, das junge Menschen von heute vollbringen sollen, besteht darin, wie die Raupe mit unterentwickelten Entwicklungsmuskeln prächtige Flügel auszubreiten. Anders gesagt: Man stutzt jungen Menschen die Flügel und sagt: ‚Und jetzt flieg mal bitte‘ – wie soll das gehen?“
Gegen wen aufbegehren?
Anstatt die jungen Menschen anzuspornen und sie zur Abhärtung durch ein kräftezerrendes Tal zu schicken, lobt man sie bei jeder Kleinigkeit und spart nicht mit Anerkennung. Matuschek verweist in diesem Zusammenhang auf die Inflation guter Noten in Schulen und Universitäten, ohne dass eine Leistungssteigerung wahrnehmbar wäre. Wenn aber selbst die staatlichen Institutionen den jungen Leuten Honig um den Mund schmieren, sei ihre kleinmütige Haltung verständlich: „Gegen wen auch aufbegehren? Der Feind ist unsichtbar. Alle sind gut. Es gibt keinen bösen Staat mehr, keine Bullenschweine, keine NS-Eltern, keine Älteren, die einem sagen, wie vergammelt und verkommen man doch ist. Alle sind lieb: Die Lehrer geben gute Noten, die Eltern sind Vorbild, der Job ist die nette Zweitfamilie. Wogegen protestieren? Gegen sich selbst?“
Die Charakterisierung der Generation Chillstand, das verdeutlichen solche Passagen, erfolgt nicht ohne Ironie und Sarkasmus. Matuschek spart nicht mit Kritik. Er nimmt sich nicht nur das Universitätswesen vor, sondern sämtliche soziale Bereiche. Die Passivität der Heranwachsenden sei gewollt. Sie habe System: „Du lernst nichts über Geld, Wirtschaft, Versicherungen, weil du dumm gehalten werden sollst“, lautet eine prägnante Passage. „Arm sollst du auch gehalten werden. Wer arm ist, ist abhängig. Wer abhängig ist, ist ängstlich; wer ängstlich ist, ist gefügig (solange das Geld reicht, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten). Das Ziel unserer Schule und Ausbildung ist Gehorsam.“
Mehr Form als Inhalt
Aufgrund der Überbehütung komme es nicht zu einem Generationenkonflikt, wie ihn zum Beispiel die 68er ausgetragen hätten. Allerdings sei Reibung und Ablehnung, so Matuschek, notwendig, damit etwas Neues entstehe. Der heutige überzuckerte Konflikt bremse die Innovationskraft, die der Publizist auch in der Kunst schmerzlich vermisst. In einem Kapitel beschreibt er die Unterschiede zwischen früheren und gegenwärtigen Literaten, um dann festzustellen, dass der heutigen Generation der Biss fehle. Ihr falle nichts ein, weshalb sie mehr an der Form experimentiere, als inhaltlich zu provozieren. An die Stelle der kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen trete die Beschäftigung mit sich selbst – am liebsten in den sozialen Medien.
Die These von der zu großen Angepasstheit und fehlenden Agilität zieht sich durch das ganze Buch. Matuschek variiert sie lediglich von Kapitel zu Kapitel, was am Ende wegen des Wiederholungscharakters etwas zäh wirkt. Der Autor macht es jedoch wett mit seiner unterhaltsamen Erzählweise. In gewohnt elegantem Stil stellt er Bezüge zur griechischen Mythologie her, zieht Parallelen zu vorherigen Generationen und besticht vor allem durch sein Talent, Aussagen in Metaphern, Vergleichen oder Allegorien auszudrücken.
Oftmals werden den Kapiteln kurze Geschichten vorangestellt, die als Sinnbilder dessen dienen, was später in argumentativer Sachprosa zur Entfaltung kommt. Angereichert wird sie mit so schönen Analogien wie dieser: „Wenn meine Generation eine Stadt wäre, dann wäre sie München: Nach außen ist alles ‚scheee‘, herausgeputzt, gerne groß, beim näheren Hinsehen aber doch provinziell, unbedeutend und hinter dem schönen Schein ist so gar nichts. Wie München leidet die Generation unter der Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und Fremdbewertung. Sie selbst ist für sich das Nonplusultra. Der Welt ist sie absolut gleichgültig.“ Bleibt zu hoffen, dass die Chillerständer das endlich verstehen.