Sachbuch „Auswandern oder Standhalten“ – Erfahrungsberichte aus dem politischen Exil

Die Corona-Krise war für viele Menschen eine psychisch belastende Zeit, vor allem für jene, die die harte und wenig demokratische Maßnahmen-Politik kritisierten. Sie wurden diffamiert, teilweise strafrechtlich verfolgt oder vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Innerhalb weniger Monate drehte sich ihr Weltbild um 180 Grad. Bis März 2020 dachten sie noch, in einem liberal-demokratischen Rechtsstaat zu leben, mussten jedoch kurze Zeit später feststellen, dass es sich bloß um eine Fata Morgana handelte. Die Regierung wurde immer autoritärer, das soziale Klima rauer und rauer. Während große Teile der Gesellschaft die drakonische Corona-Politik mittrugen, fühlten sich die Maßnahmenkritiker so unwohl in Deutschland, dass sie mit dem Gedanken spielten, ihre Heimat zu verlassen. Und einige von ihnen wagten den Schritt. Sie immigrierten ins unmittelbare Ausland, nach Süd- oder Nordamerika.

Was jeweils das Zünglein an der Waage war und welche Bedingungen diese Menschen im „politischen Exil“ vorfanden, lässt sich nun in einem Sammelband nachlesen. Als Herausgeber fungiert der Aktivist und Publizist Ullrich Mies, der in der Einleitung politische wie gesellschaftliche Fehlentwicklung der letzten Jahre nachzeichnet. Was darauf folgt, sind mehrere Erfahrungsberichte, in denen die Autoren die gleichen Punkte ansprechen, jedoch einen jeweils anderen Fokus setzen, nicht nur was die Gründe für die Auswanderung betrifft, sondern auch die Auswahl der neuen Heimat. Sie führen Argumente an, warum sie sich gerade für dieses und nicht für ein anderes Land entschieden haben; was sie dort im Gegensatz zu Deutschland reizt und wie sie sich die Zukunft ausmalen.

Zuvor jedoch mussten sich alle mit der gleichen Frage auseinandersetzen, mit einer, die dem Sammelband den Titel gab: „Auswandern oder Standhalten … Politisches Exil oder Widerstand?“ Die meisten Autoren entschlossen sich zur Immigration. Nur Walter Weber zog es vor, weiter Widerstand zu leisten. „Ich bleibe hier, weil es unser Land ist, wir müssen es zurückholen“, schreibt der Facharzt für Innere Medizin, nachdem er auf mehreren Seiten seinen Unmut über die politischen und sozialen Verhältnisse zum Ausdruck gebracht hat. Der Publizist Hermann Ploppa hingegen hält sich weniger mit der Fehlentwicklung auf, sondern führt Gründe an, warum diverse Länder nicht in sein Lebenskonzept passen. Afrika käme nicht in Frage: „Die Weißen haben sich hier so derart saumäßig aufgeführt, sodass ich nicht glaube, dass es jemals ein entspanntes Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß geben kann.“ In Lateinamerika sei die Kluft zwischen Arm und Reich zu groß, während Anglo-Amerika mit seinem hohen Preisniveau ein Problem darstelle. Den indischen Kulturraum empfinde er als befremdlich, China als extrem totalitär.

Für Ploppa sei eigentlich nur Laos interessant, wo er zunächst mehrere Monate vorfühlte, ob sich eine Auswanderung lohnen würde. Eigentlich finde er dort angenehme Bedingungen vor, wäre da nicht „die ekelige Regenzeit“. Am Ende seines Beitrags bleibt er unentschieden: „Auswandern oder Standhalten? Ich bleibe zunächst also bei einem entschiedenen Sowohl als Auch.“ Andere spürten da schon stärkere Fliehkräfte, so wie der Schriftsteller Sven Böttcher, der mit seiner Familie nach Dänemark immigriert ist, obwohl die Anfangsbedingungen vor Ort alles andere als rosig aussehen: „Die Steuern sind hoch. Die Preise sind hoch. Die Hürden erst recht, wenn man sich hier länger als vier Wochen aufhalten möchte. Man kann nichts mieten. Man muss kaufen. Man bekommt keinen Kredit von einer deutschen Bank für ein Haus in Dänemark, und als Ausländer bekommt man in Dänemark nicht mal ein Konto, geschweige denn einen Kredit. Man benötigt sofort eine Aufenthaltsgenehmigung.“

Dennoch zieht Böttcher die Strapazen vor. Sie sind ihm lieber als das unwirsche Klima zu Hause in Deutschland. Warum? „Weil Deutschland mit Beginn der ‚Pandemie‘ unter lauter Masken alle Masken hat fallen lassen“, schreibt er in einem Ton, der Verärgerung und Frustration erkennen lässt. Böttcher ist nicht der Einzige, der seine Emotionen zu kanalisieren versucht. Man merkt den Beiträgen an, dass die Autoren noch unter dem Eindruck der drakonischen Maßnahmen standen, als sie ihre Erfahrungsberichte schrieben. Erwähnt werden die Polizeigewalt auf Demonstrationen, monatelange Lockdowns und Berufsverbote oder der unmenschliche Umgang mit den Jüngsten, der unter anderem für die Journalistin Sophia-Maria Antonulas einer der Gründe war, Deutschland zu verlassen. Sie hat sich für Schweden entschieden, wo die Regierung bekanntlich einen entspannten Kurs fuhr. „Die Titelseiten der Hauptstadtgazetten dominierten im Herbst 2021 tagelang elektrische Tretroller, die auch in Stockholm die schmalen Bürgersteige versperrten“, beschreibt sie den Moment, in dem ihr bei einem Besuch der Impuls kam, dorthin zu ziehen: „Wie glücklich ist eine Gesellschaft, deren Zeitungen tagelang mit Tretrollern aufmachen.“

Das Leben in Schweden sei entspannter als in Deutschland, so Antonulas. Den Erfahrungsberichten zufolge scheint das jedoch für fast alle Länder zu gelten. Die Studentin Romy van Stigt etwa flüchtete nach Spanien, wo die Menschen selbst auf den Straßen freiwillig Masken trugen. Und dennoch habe sie die Atmosphäre als angenehm und weniger polarisiert empfunden: „Die Menschen machen generell nicht den Eindruck, dass sie andre kontrollieren oder anderen zeigen möchten, dass sie auf der Seite der ‚Guten‘ stehen.“ Selbst in Österreich, wo die Maßnahmen ähnlich hart ausfielen wie hierzulande, soll es humaner zugegangen sein: weniger Polizeigewalt, weniger Denunziation und weniger Aggression seitens der sogenannten Antifa. Das berichtet zumindest die Unternehmensberaterin und Friedensaktivistin Andrea Drescher. Am meisten schätzt sie jedoch, dass es dort keine Präsenzpflicht in den Schulen gibt. Für viele Deutsche sei das ein Grund gewesen, nach Österreich umzuziehen: „So wurde Kindern und Jugendlichen, deren Eltern sich für das Freie Lernen entschieden, viel Leid durch Masken, Testpflicht und Impfdruck erspart.“

Gleich drei Autoren hat es nach Paraguay verschlagen. Was Wolfgang Jeschke, Petra Marianowski und Ronja Palmer überzeugt, ist die Freundlichkeit der Menschen, die schöne Natur, der ungeheure Optimismus. Diese Vorzüge sieht Michael Krosta auch in Chile, obwohl die Menschen dort „genauso brav, hörig und angstvoll“ seien wie die Deutschen. „Ja, eigentlich sind sie noch schlimmer als die Deutschen, denn sie stehen freiwillig mit ihren dreijährigen Kindern vor Impfzentren an. Hier wird alles geimpft, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“ Und dennoch findet er das Leben in Chille angenehmer als in der Bundesrepublik, wo so gut wie nichts mehr funktioniert.

Manche erkannten die Zeichen bereits vor Corona, wie Simone Hörrlein, die 2015 während der Flüchtlingskrise vorhersah, dass sich die sozialen Verhältnisse verschlechtern würden. Damals immigrierte sie nach Kanada und ist heute glücklich darüber, diesen Entschluss gefasst zu haben. Noch viel früher verließ Tom Oliver Regenauer das Land. Der Unternehmer und Publizist sah die ersten Symptome in der Finanzkrise, weshalb er nicht nur Deutschland, sondern gleich die gesamte Europäische Union hinter sich lassen wollte. Sein Weg führte in die Schweiz, wo er seit über einem Jahrzehnt wohnt. Sein Beitrag zählt in dem Sammelband zu den stärksten, was vor allem auf die Informationsdichte zurückzuführen ist. Regenauer nennt nicht nur Vor- und Nachteile der Eidgenossenschaft, sondern gibt auch praktische Tipps. Was die Schweiz für ihn so reizvoll macht, ist unter anderem die effiziente wie effektive Verwaltung. Außerdem sei die Steuerlast gering, „der Staat schlank, und wer arbeitet, verdient in der Regel genug, um am Monatsende noch etwas übrig zu behalten“.

Es sind ganz persönliche Eindrücke, die das Buch präsentiert – mit einer jeweils anderen Gewichtung von Aspekten, die den Autoren wichtig erscheinen. Ihre Erfahrungsberichte decken ein breites Spektrum ab und wirken teils erhellend. Für viele Bürger in Deutschland ist die politisch-gesellschaftliche Krise noch lange nicht überstanden, weshalb die titelgebende Frage noch immer im Raum steht. In dem Sammelband finden sie einen geeigneten Ratgeber, der vielfältige Informationen liefert, um eine angemessene Entscheidung zu treffen. Neben dem praktischen Wert enthält die Lektüre auch einen historischen. „Auswandern oder Standhalten“ liest sich wie ein erschreckendes Zeitdokument, in dem aus vielen Zeilen der blanke Horror spricht. Er vermittelt einen authentischen Eindruck von einer finsteren Zeit der deutschen Geschichte und gibt die Stimmungslage vieler Menschen wieder, die sich hilflos, verlassen und bedroht fühlten.

Titelbild: Pixabay/Diactivated

Kulturjournalismus braucht deine Hilfe!

Wer meine Arbeit unterstützen möchte, kann es via Überweisung oder Paypal tun. Herzlichen Dank!

Überweisung:

IBAN: DE85 1203 0000 1033 9733 04
Verwendungszweck: Spende

Spende via Paypal

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert