Kultur-Events können eine überraschende Wendung nehmen. Das hat der Musiker und Lyriker Jens Fischer Rodrian gestern in dem Berliner Jazz Club Zig Zag eindrucksvoll demonstriert – mit einer Programmänderung, in die zumindest einige Gäste eingeweiht sein mussten. Eigentlich sollte der 55-Jährige sein aktuelles Buch «Die Armada der Irren» vorstellen. Der im Rubikon-Verlag erschienene Sammelband enthält unter anderem poetische Texte, die bereits zuvor auf dem Album «Protestnoten» vertont worden waren. Es ist klassische Widerstandslyrik mit teils deutlichen Versen, in denen die Corona-Politik und deren gesellschaftliche Auswirkungen kritisiert werden.
Beigesteuert haben diese Stücke mehrere Künstler, kreative Köpfe wie Sabrina Khalil, Roland Rottenfußer oder Wolfgang Wodarg, aber auch Jens Fischer Rodrian selbst. Er ist der Initiator des Projekts, weshalb «Die Armada der Irren» nicht nur aus lyrischen Werken besteht, sondern auch aus Prosabeiträgen, in denen der Berliner seinen Weg in den Widerstand beschreibt. Daraus würde er bei der Buchvorstellung im Zig Zag vorlesen – dachten sich zumindest die nicht eingeweihten Gäste. Doch es kam anders. Rodrian betrat die Bühne mit einer Gitarre und ließ nach einer kurzen Einführung wissen, dass er sich dazu entschlossen habe, ein Konzert zu geben. „Was ich aus dem Buch vorlesen wollte, wisst ihr ohnehin alles schon“, lautete seine Erklärung. Und Recht hatte er: Das Publikum setzte sich aus Menschen zusammen, die in den letzten zwei Jahren die Ereignisse rund um die Corona-Politik aufmerksam verfolgt und sich gegen sie aufgelehnt haben – sei es auf Demonstrationen, in öffentlichen Interviews oder in den eigenen Social-Media-Kanälen.
Sinnlicher Kulturgenuss
Aufgrund dieser Strapazen dürfte bei den Gästen der Wunsch groß gewesen sein, vom Frust der letzten 24 Monate für einen kurzen Augenblick abzulassen. Eine rein auf das Wort bezogene Auseinandersetzung mit dem Corona-Thema hätte die Gefühle erneut aufgewühlt. Sie hätte zwar den Verstand berührt, aber nicht das Herz. Gerade nach dem Wegfall so gut wie aller Maßnahmen wollte man Kultur wieder genießen – möglichst ausgelassen und sinnlich. Deswegen vertonte Jens Fischer Rodrian seine Lyrik live on stage und zeigte dabei seine Vielseitigkeit, indem er mehrere Gitarren intonieren ließ, auf dem Schlagzeug spielte und gekonnt seine Stimme einsetzte. Vorgetragen wurden unter anderem ältere Stücke, in denen es um alltägliche Beobachtungen geht oder um zwischenmenschliche Beziehungen.
Ganz ohne das Corona-Thema ging es dann doch nicht. Rodrian gab das eine oder andere Dissidenten-Stück zum Besten, überließ die kritische Lyrik aber eher seinen Überraschungsgästen, allen voran Ehefrau Alexa und Tochter Lou. Die 21-Jährige hatte gerade erst mit «WUNDE(R)N» einen Internet-Hit gelandet, einem Slam-Poetry-Clip, der schon jetzt knapp 50.000 Aufrufe zählt. Dieses Stück trug der Jungstar auch im Zig Zag vor, während Vater Rodrian sie instrumentell begleitete. Thematisierte Lou in ihrer poetischen Einlage die gesellschaftliche Entfremdung und Spaltung, versuchte Mutter Alexa ihre Wut in Worte zu fassen. Das Ergebnis war ein eindringliches Gedicht über unangenehme Begegnungen im Supermarkt, verlorene Freunde und grundlose Anfeindungen.
Saal wird zur Bühne
Das Publikum war elektrisiert. Beide Beiträge haben den Saal zum Beben gebracht. Als kurze Zeit später der Gitarrist, Sänger und Komponist Lüül sein Stück «Ich bin die freie Rede» vortrug, erhoben sich viele Gäste von ihren Stühlen und tanzten. Das Zig Zag kochte. Für den Jazz Club war es mal wieder eine belebte Veranstaltung seit Langem. Wie alle kleineren Kultureinrichtungen hat er eine extreme Leidenszeit hinter sich. Die Corona-Maßnahmen haben den Betrieb in eine finanzielle Schieflage gebracht, sodass er fast für immer geschlossen werden musste, wie Inhaber Dimitris Christides vor dem Konzert sagte. Glücklicherweise habe ihm Jens Fischer Rodrian phasenweise helfen können, zumindest kleinere Events zu organisieren. Tatsächlich fanden im Zig Zag während der Corona-Zeit viel beachtete Interviews statt, die der Philosoph Gunnar Kaiser unter anderem mit Journalistin Aya Velázquez oder den Pädagogen Maurice Janich und Michael Hüter führte.
Zwischendurch fanden in dem Jazz Club unter Hygienebedingungen einige wenige Benefizkonzerte statt. Eine so gute Atmosphäre wie bei Rodrians Auftritt herrschte in dem Laden aber schon lange nicht mehr. Alle Plätze waren besetzt. Viele Gäste mussten stehen. Unter den Anwesenden waren auch die Mitglieder der Basis Band, die am Ende der Show den Saal zur Bühne machte. Zum Abschluss gab es die deutsche Version des Widerstandsklassikers «Danser Encore». Die Gruppen-Mitglieder waren überall verteilt. Während Rodrian mit mehreren Kollegen auf der Bühne auf der Gitarre spielte und die Chorsängerinnen an den Seiten unterstützte, brachten sich im hinteren Bereich die Bläser ein. Es herrschte ausgelassene Partystimmung, die noch nach dem Konzert lange andauern sollte.