Die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse sind seit der Corona-Politik geradezu katastrophal. Schreckensnachrichten, Diskreditierungskampagnen gegen Kritiker, Freiheitsbeschränkungen und gesellschaftliche Spaltung bestimmen den Alltag. Gegen diesen Wahnsinn hilft nur Humor. So sieht es zumindest der Grafikdesigner, Fotograf und Literat Markus Jöhring, der im Frühjahr 2020 damit begann, die Ereignisse durch eine Cartoon-Reihe zu kommentieren. Unter dem Titel «Inge, Willi, Corona und ich» stellt diese den Menschen in den Mittelpunkt einer künstlerischen Auseinandersetzung, die im satirischen Modus verschiedene Themen aufgreift – von der Maskenpflicht über Zensur bis hin zur allgegenwärtigen Angst vor einer Krankheit, die über 99 Prozent der Menschen überleben.
Als Protagonisten treten bekannte Typen aus dem Alltag auf, schrullige Figuren mit einfachem Gemüt, aber einer gewissen Bodenhaftung. Ihr Temperament drückt sich bereits in den altbackenen Namen aus. Er habe mit konkreten Personen arbeiten wollen, sagt Jöhring. Dadurch wirke die Cartoon-Reihe persönlicher und menschlicher. Der Grafikdesigner setzt darin bewusst auf Skurrilität, um dem angestrebten Perfektionismus der Hygienepolitik entgegenzuwirken. Das macht sich unter anderem in den Dialogen sichtbar, die meist flapsig formuliert sind. Dennoch kommt die darin transportierte Kritik deutlich zum Ausdruck, wie eines der letzten Cartoons aus dem Frühjahr 2022 veranschaulicht. Zu sehen ist ein Kuchendiagramm, neben dem steht, wofür sich die Bevölkerung anteilsmäßig ausspricht: „32 % der Deutschen sind gegen mehr dafür“, heißt es in Anspielung auf zweifelhafte und wenig glaubwürdige Studien. Der Rest sei hingegen „für mehr dagegen“.
Die Arbeit am Cartoon soll ein laufender Prozess mit offenem Ausgang gewesen sein. Jöhring veröffentlichte die einzelnen Arbeiten auf Facebook und Instagram und stellte die ersten 48 vom 27. Juni bis 29 August 2020 in der Recklinghäuser Innenstadt aus. Das wurde sogar staatlich unterstützt. Mit der Zeit erhielt er für seine Arbeit viel Zustimmung, erntete aber auch Kritik, die ihm vor allem in den sozialen Medien entgegenschlug. Kurze Zeit später war es aufgrund der strengeren Maßnahmen ohnehin recht schwer, einen Ausstellungsort zu organisieren. Jöhring fand ihn schließlich in einem Biergarten eines Restaurants. Dort hängte er vier Banner mit seinen Cartoons auf, sodass Passanten sie betrachten konnten. Es gab sogar Hinweisschilder, die zu ihnen führten. Als das Werk anwuchs, ließ der Grafikdesigner ein richtiges Buch als Hardcover drucken. Nun geht «Inge, Willi, Corona und ich» in die zweite Auflage und soll um Cartoons erweitert werden, die nach der ersten entstanden sind.
Kurzgeschichten im Cartoon
Wer das Werk aufschlägt, könnte den Eindruck bekommen, die Bilder wären mit Kohlestift gemalt. Jöhring hat sie jedoch alle am Computer gezeichnet, was kein Problem darstellte, weil sich viele Elemente wiederholen. So habe er sie immer wieder kopieren können, sagt der aus dem Ruhrgebiet stammende Künstler. Im Verhältnis von Sprache und Bild dominiert in dem Cartoon jedoch der Text. Jöhring erklärt das damit, dass er sich in diesem Genre mehr zu Hause fühle. Neben bildender und grafischer Kunst produziert der 48-Jährige viele Kurzgeschichten. Einige von ihnen finden sich auch in «Inge, Willi, Corona und ich» zwischen den einzelnen Cartoons. Sie sind in der gleichen Zeit entstanden und widmen sich ebenfalls Themen, die im Zuge der Corona-Krise an Brisanz gewonnen haben. Mit dem Stück «Doppelte Unendlichkeit» hat Jöhring sogar die Vestische Literatur-Eule 2021 im Rahmen der 34. Recklinghäuser Autorennacht gewonnen. In der Kurzgeschichte geht es um den fragwürdigen Umgang mit Zahlen, dessen Gefahren in Form einer Parabel veranschaulicht werden.
Diese Art der indirekten, aber zugespitzten Kritik zieht sich auch durch die Cartoons, wobei diese fortlaufend schärfer und bissiger werden. Anfangs sei er noch naiv an die Arbeit herangegangen, erinnert sich Jöhring, obwohl sich ihm schon recht früh der Verdacht aufdrängte, dass da etwas nicht stimme. Dennoch versuchte er die Themen differenziert und möglichst sachlich zu behandeln. Als die Angriffe auf ihr härter wurden und die Maßnahmenpolitik kein Ende zu nehmen drohte, verlor er die Leichtigkeit. „Plötzlich merkte ich selber, dass ich mit meinen Cartoons erzieherisch wirken wollte.“ Seine eigentliche Intention sei es aber, Menschen über den Humor zu erreichen, damit sie den Blick wieder öffnen und weiten. „Sie sollen über sich selbst lachen können und aus dem Tunnelblick rauskommen“, so der Künstler. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich mehr trauen, kritisch zu sein, Fehler zu machen und eine Meinung zu haben, auch wenn sie von der vorherrschenden abweicht.“
Unter diesem Motto steht sein Cartoon, auch wenn er sich dort nach eigenen Worten zwischen Anspruch und Wirklichkeit bewegt. Es sei gewissermaßen ein Experiment gewesen, das ihm viel Spaß bereitet habe: „Es war eine tolle Erfahrung, schon allein deswegen, weil ich dadurch mein soziales Umfeld neu kennenlernte.“ Jöhring habe hautnah erlebt, was Angst mit Menschen macht. Sie ließen sich sehr schnell beeinflussen, wenn mediale Werkzeug gezielt eingesetzt werden. Das sei erschreckend und erhellend zugleich. „An dieser Stelle wird deutlich, welche Kraft und Macht Bilder haben können“, schreibt der Künstler in seinem Vorwort zu «Inge, Willi, Corona und ich». „Und es wird deutlich, wie viel Verantwortung Urheber und auch Verteiler von Bildern und Nachrichten haben.“ Mit seinem Cartoon ist er sie zu übernehmen bereit.