„Der Kojote ist eine der populärsten mythologischen Figuren der Native Americans“, schreibt der Österreicher Gerald Ehegartner im Anhang seines neuen Romans «Feuer ins Herz». „Dieser Trickster verhält sich meist nicht «systemkonform» und liebt es, Regeln und Tabus zu brechen.“ Dieser kreative Held erscheint in Ehegartners Werk in menschlicher Gestalt als Old Man Coyote – in einer Zeit, an die sich wohl alle Leser erinnern dürften: zu Beginn der Corona-Krise. Von einem Tag auf den anderen werden aus Angst vor dem neuartigen Virus sämtliche Institutionen geschlossen und Maßnahmen wie Lockdown oder Social Distancing verhängt.
Für den eigentlichen Protagonisten Noah kommen die Einschränkungen sehr überraschend. Der leidenschaftliche Lehrer muss zunächst die Orientierung wiederfinden, was ihm nicht so leicht fällt, weil sich die Ereignisse überschlagen. Online-Konferenzen, Polizeikontrollen und Kontaktbeschränkungen stellen den Alltag auf den Kopf. Hier kommt nun der Old Man Coyote ins Spiel. Obwohl dieser im Roman als Trickster eingeführt wird, verkörpert er in gewisser Weise auch den Archetypen des Mentors, der Noah durch die Krisenzeit leitet.
Naturverbundenes Leben
Die mythische Figur animiert ihn weiterhin optimistisch zu bleiben, keine Nachrichten zu konsumieren und stattdessen ein naturverbundenes Leben zu führen. Old Man Coyotes Schatz an Weisheiten scheint unerschöpflich zu sein. Die Ratschläge sprudeln nur so aus ihm heraus. Nicht selten kommen sie mit einer poetischen Wucht daher, die jeden negativen Gedanken umpolt: „Noah, lass das. Was du brauchst, ist Kreativität, die von Herzen kommt“, heißt es an einer Stelle. „Du findest zu viel destruktive Kreativität. Orientiere dich nicht an hässlichen Irrlichtern, sondern erhebe deine Flügel in wunderschöne, noch unerkannte Welten. Brich auf, Noah. Setz die Segel. Lass die hypnotischen Scheintoten die bunten Neonlichter der Matrix konsumieren.“
Ein wichtiger Aspekt bei der Bewältigung der neuen Situation ist der Humor. „Kümmere dich um das Leben und lass die Toten die Toten begraben“, rät Old Man Coyote. „Der Schlüssel ist Verrücktheit, Humor und Lachen.“ Von diesen Zutaten findet man in dem Roman reichlich. Ehegartners Prosa ist durchsetzt mit Wortspielen, kreativen Wendungen und skurrilen Ideen. Die Figuren, zu denen auch Noahs Lehrerkollegen und Freunde gehören, nehmen jede Gelegenheit wahr, in ihre Dialoge witzige Kommentare einzustreuen. Die Gag-Dichte ist so hoch, dass «Feuer ins Herz» bisweilen an eine Screwball-Komödie erinnert.
Pädagogischer Anspruch
Dennoch gibt es in dem Roman auch ernste Töne. Das Ensemble philosophiert über die jüngsten Entwicklungen, die mit Grundrechtseinschränkungen und dem Verlust der Freiheit einhergehen. Die Gespräche am Lagerfeuer oder in den häuslichen vier Wänden kreisen um Befürchtungen, dass eine demokratische Grundordnung von einer digitalen Diktatur abgelöst werden könnte. Dabei kommt vor allem Noahs Kollegen Martin die Rolle zu, von Ereignissen zu sprechen, die in der Öffentlichkeit gerne als «Verschwörungstheorien» bezeichnet werden. Vom Event 201 bis zur ID2020 finden sich alle relevanten Kontextereignisse wieder, die alle kennen dürften, wenn sie in den letzten anderthalb Jahren nicht geschlafen haben.
«Feuer im Herz» ist hochaktuell und thematisiert die inneren wie äußeren Konflikte der Gegenwart, indem er nicht nur entscheidende Entwicklungslinien in den westlichen Gesellschaften nachzeichnet und wichtige Fragen aufwirft, sondern auch Möglichkeiten aufzeigt, wie das Leben alternativ zum heutigen rational-digitalen Mainstream gestaltet werden kann. Der pädagogische Anspruch ist unverkennbar. Wer sich auf einer Sinnsuche befindet und Impulse benötigt, wird an dem Roman große Freude haben.