Künstlerische Agilität zeichnet sich durch neue Ansätze aus, durch Experimente und Überschreitungen. Wer kreativ bleiben will, muss neue Wege einschlagen, selbst wenn der Ausgang ungewiss ist. Sid der Liedermacher weiß das. Nachdem er mehrere Jahre in der alternativen Musikszene mit kritischen Singer-Songwriter-Stücken auf sich aufmerksam gemacht hatte, beschloss er während der Corona-Krise, sich im Hip-Hop auszuprobieren. Herausgekommen ist eine EP mit fünf Titeln, die die Maßnahmen-Zeit samt den gesellschaftlichen Folgen Revue passieren lassen.
Mit dem neuen Projekt hat der Musiker gleich seinen Künstlernamen geändert – „um sich von seinen Liedermacher-Songs abzusetzen“, wie er sagt. Spuren der Vergangenheit bleiben denn erkennbar. An seinen Spitznamen Sid hat er lediglich das Kürzel DIY drangehängt – DO IT YOURSELF. Und tatsächlich hat es der Musiker selbst gemacht. Er produzierte die EP ganz alleine und gab ihr den symbolträchtigen Titel „Die Neue Normalität“. Was sie kennzeichnet und wie sie sich in den letzten drei Jahren seit Beginn der Corona-Krise anfühlte, schildern die fünf Songs in eloquenter wie pointierter Sprache. SiDIY führt verschiedene Themen zusammen, von staatlicher Propaganda und Medienmanipulation, über Endzeitstimmung und Katastrophen-Kult bis hin zu Widerstandsgeist und Freiheitsliebe.
Schneller Sprechgesang
Nach den Erfahrungen der Corona-Zeit gibt es viel zu erzählen. Das ist vermutlich der Grund, warum sich der Musiker für das Hip-Hop-Genre entschieden hat. In Rap-Songs lässt sich mehr Inhalt unterbringen, je nachdem, welches Tempo die Sprechgesangskünstler vorlegen. SiDIY selbst gibt ordentlich Gas. In allen fünf EP-Tracks feuert er eine Line nach der anderen ab, erzählt Geschichten aus dem Alltag und spielt mit Assoziationen. „Ich denke schon, das war alles geplant“, heißt es beispielsweise in dem titelgebenden Song «Die neue Normalität». „Ich hab das irgendwie seit langem geahnt / Seit 9/11 waren wir doch wohl gewarnt / Das ein Insider-Job, als Terror-Attentat getarnt / Ein guter Vorwand für die Technokratie, / Um Gesetze einzuführen, die die Demokratie / Nur immer weiter unterwandern, bis zur Plutokratie, / Und der Nagel im Sarg war dann die Pandemie!“
Weitaus metaphorischer kommt hingegen der Track «Nachtwache» daher. SiDIY zeichnet mit seinem Sprechgesang ein Panorama von apokalyptischer Finalität, während er sich in «Verzeihen» mit der gesellschaftlichen Spaltung beschäftigt. Den durch Familien und Freundeskreise gehenden Riss beschreibt der Musiker, indem er aus der eigenen Perspektive von der Ausgrenzung in den Jahren 2021 und 2022 berichtet. Seine Erfahrungen dürften sich decken mit denen anderer kritischer Geister, die an den offiziellen Narrativen zweifelten und sich gegen die Impfung entschieden: „Es tut immer noch weh, wenn ich die Bilder von Weihnachten seh / Wir hatten doch immer gemeinsam gefeiert / Jetzt stand ich allein auf der Straße im Schnee / Hab bei dir geklingelt, doch du sagtest: Nee! / Fandest es eine absurde Idee / Hast dich gewundert, dass ich nicht versteh, wie du nur denken kannst, das ist OK.“
Hoffnungsvoller Anklang
Trotz des teilweise schweren und melancholischen Inhalts bietet SiDIY seinen Hörern immer eine optimistische Perspektive. Seine Songs enthalten ebenso hoffnungsvolle Zeilen, die Mut machen, neue Wege zeigen und dazu animieren, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Eine positive Message sendet er insbesondere an alle Menschen, die nach der Krisenerfahrung Gegenentwürfe für das gesellschaftliche Miteinander aufzeigen. Sie sind die «Propheten», wie SiDIY kritische Journalisten, Rapper, Musiker, Künstler oder YouTuber in einem Song bezeichnet. „Hör die Stimme und sie spricht: Dieser Weg, er führt ins Licht!“, fasst er sie auf allegorische Weise zusammen. „Und auf einmal siehst du klar: Alles, was sie sagt, ist wahr / Du merkst, wie die Illusion zerfällt, siehst die Wirklichkeit der Welt / Und du weißt, du bist bereit für die Propheten unserer Zeit“.
Musikalisch ist der Song mit eingängigem Synthie-Sound angereichert, der ein wenig an die Neue Deutsche Welle erinnert. Keyboard-Elemente und elektronischer Groove ziehen sich durch die komplette EP, auch wenn SiDIY ab und an düstere Beats einbaut. «Die Zeiten ändern sich» klingt hingegen weicher, bisweilen sogar experimentell, während «Verzeihen» Oldschool-Rap mit ein bisschen Funk vermischt. Wer diesen Klangteppich hört, erkennt sofort eine eigene Handschrift. Sie weckt Lust auf mehr. Nur wenigen gelingt es, viel Inhalt mit eingängigen Melodien so zu verbinden, dass die Botschaften sowohl rational als auch emotional ihre Wirkung entfalten. In Zeiten multipler Krisen wirkt SiDIYs Musik wie ein Mittel gegen die narkotisierende Massenhypnose, wie ein aufbauendes Serum, das den Geist nicht ermatten lässt