Um das Attentat auf den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy ranken sich viele Mythen und Legenden. Bis heute gibt der Fall Rätsel auf. Erklärungsversuche, die der offiziellen Version widersprechen, erhalten das verächtliche und diskreditierende Etikett „Verschwörungstheorie“. Dieser Kampfbegriff kommt bis heute zum Einsatz, um die Vergehen mächtiger Kräfte zu verdecken und Aufklärungsarbeit zu torpedieren. Seine Geburtsstunde erlebte er jedoch unmittelbar nach dem Attentat auf Kennedy. Vergessen wird dabei, dass die offizielle Version ebenfalls eine Verschwörungstheorie ist – nur eben eine offizielle. Doch sie enthält jede Menge Löcher und Ungereimtheiten. Auf sie sind im Laufe der Jahre jede Menge fiktionale Filme und Dokumentationen eingegangen, unterschiedliche und teils aussagekräftige Produktionen, die mittlerweile irgendwo im kollektiven Bewusstsein verschüttet liegen und in der Öffentlichkeit keine Beachtung finden. Eine von ihnen ist der Dokumentarfilm «Dark Legacy» aus dem Jahr 2009, der beim Kennedy-Attentat die Rolle George H. W. Bushs beleuchtet.
Bevor Regisseur John Hankey seine Rechercheergebnisse rund um den ehemaligen CIA-Chef und späteren US-Präsidenten ausrollt, geht er zunächst auf die Widersprüche der offiziellen Version ein. Rund 50 Minuten nimmt er sich dafür Zeit und bedient sich einer Fülle von Archivaufnahmen, Protokollen, Dokumenten und Zeugen-Aussagen, um wie ein Kriminalist das Attentat als geplanten Mord zu belegen. Widerlegt werden unter anderem die offiziellen Behauptungen, es hätte lediglich Lee Harvey Oswald die tödlichen Schüsse abgegeben, die Kennedy auch noch von hinten trafen. Filmemacher Hankey weist genau das Gegenteil nach und zitiert nicht nur Forensicker oder Menschen vom Tatort, sondern zeigt anhand der Originalaufnahmen, dass die Sicherheitsleute sich außergewöhnlich passiv verhielten. Zu den Ungereimtheiten gehört zudem, dass ein Amateur mit der Autopsie beauftragt wurde und Geheimdienstangehörige die Leiche Kennedys eigenmächtig von Dallas nach Washington transportierten, um einige Beweise zu vernichten.
Kennedy und der militärisch-industrielle Komplex
Hankey arbeitet in seinem Film wie ein Detektiv. Er montiert nicht nur das in Wort und Schrift vorhandene Beweismaterial, sondern gibt den Zuschauern als Erzähler eine gewisse Orientierung, indem er Parallelen zieht, die Widersprüche erläutert und die Ereignisse in einen Kontext setzt. Zu dem gehört unter anderem, dass John F. Kennedy als Präsident sich für radikale soziale Veränderungen einsetzte, gegen die Macht der Konzerne und der CIA vorging und die komplette Abrüstung unter der Aufsicht der UN forderte. Damit wurde er einem einflussreichen Zirkel gefährlich, der in Hankeys Film verdächtigt wird, Kennedy ermordet zu haben: dem militärisch-industriellen Komplex.
Dieses unheilvollen Verbunds aus Armeeangehörigen, Politikern, Geheimdienstleuten und vor allem aus geldstarken Familien nimmt sich der Regisseur in der zweiten Hälfte an, indem er zunächst veranschaulicht, inwiefern die Du Ponts, Rockefellers oder Harrimans bereits zuvor als Sklavenhalter Macht ausübten und welche Rolle sie im Zweiten Weltkrieg spielten. Mittendrin in diesem Netzwerk war Prescott Bush, Vater des späteren 41. US-Präsidenten, zu dem anschließend sämtliche Parallelen gezogen werden. In diesem Kontext finden unter anderem die Skull & Bones Erwähnung, eine bis heute agierende Studentenverbindung an der Yale-Universität. Sie versteht sich nicht nur als ein Geheimorden, sondern ist auch dafür bekannt, dass ihre Mitglieder in allen wichtigen Institutionen die Schlüsselpositionen besetzen. Die Bushs sind Teil der Organisation und sind personell mit einem monströsen Apparat verflochten, der unter dem Dach der CIA schmutzige Angelegenheiten erledigt.
Enormer Rechercheaufwand
Wie diese Sicherheitsbehörde zur Zeit Kennedys funktionierte, erklärt Filmemacher Hankey so: Die CIA sei mehr eine Gemeinschaft gewesen als eine Institution. In ihr hatte George H. W. Bush schon damals eine exponierte Stellung, behauptete jedoch stets, erst später für diese Geheimdienstorganisation gearbeitet zu haben. Der Dokumentarfilm entlarvt das als Lüge und zeigt, inwiefern er in das Komplott eingeweiht worden sein musste. Viele personelle Stränge führen zu ihm und ergeben am Ende ein verwobenes System. Einige Jahre nach dem Attentat wurde Bush CIA-Chef und soll wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Ermittlungen im Kennedy-Fall eingestellt wurden.
Auch Hankeys Film klärt ihn nicht gänzlich auf. Der Regisseur ist weniger darum bemüht, eine stichhaltige Theorie zum Attentat zu präsentieren, als nachzuweisen, dass George H. W. Bush daran beteiligt war. Seine Ausführungen zeugen dabei von einem immensen Aufwand. Was Hankey an Fakten und Verbindungen vorlegt, lässt eine beeindruckende Rechercheleistung erkennen. Bisweilen erzeugt die Informationsdichte Schwindelgefühle, so sehr geht der Film an die kognitive Belastbarkeit. Die Strukturen im Hintergrund, das macht er überdeutlich, sind außerordentlich komplex. Genau aus diesem Grund bedarf es einer ausgiebigen und unermüdlichen Aufklärungsarbeit, die Stück für Stück offenlegt, wo die wirkliche Macht sitzt. «Dark Legacy» vermittelt nur eine Ahnung davon, regt aber dazu an, sich mit dieser Frage tiefergehender zu beschäftigen.