Die Corona-Maßnahmen lösen sich allmählich in Luft auf. Doch es ist noch nicht lange her, dass sie den Alltag, ja das Gefühlsleben aller Bürger bestimmten. Im Lockdown 2021 wurden die Beschränkungen von Woche zu Woche verlängert. Die meisten Freiheitsrechte existierten nur auf Papier. Der Stuttgarter Künstler Vanderkurth wollte diese Zeit nutzen, um einige Skulpturen zu entwickeln und eine Statue anzufertigen, die die Corona-Politik kommentiert. Diese Schaffensphase hat der Regisseur Alexander Tuschinski dokumentiert. Sein Film «Statue of Liberty», angelehnt an den Titel der Plastik, hält den Entstehungsprozess fest, indem er Vanderkurth in dessen Atelier bei der Arbeit begleitet. Herausgekommen ist nicht nur ein Zeitdokument, sondern auch ein interessanter Film über Kunst.
Zum Unterhaltungswert trägt der Künstler selbst bei. Vanderkurth, nicht nur Bildhauer, Maler und Grafiker, erweist sich sehr schnell als redseliger wie sympathischer Protagonist, der sich selbst in der dunkelsten Zeit der Corona-Krise seine Lebensfreude nicht nehmen lässt. Im lässigen Ton plaudert er über das Künstlerdasein und erläutert, wo die Vor- und Nachteile liegen. Man müsse sich immer Freiräume schaffen, was nicht immer leicht sei. In der Lockdown-Zeit 2021 war das kein Problem, weshalb Vanderkurth mit «Statue of Liberty» ein Zeichen setzen wollte. Seine Plastik sollte eine Person darstellen, die sich aus einer Kiste befreit – ein Sinnbild der mentalen Verfassung im ganzen Land.
Eine kurze Schaffenspause
Er hoffe, sagt der Künstler im Film, dass die Statue bis zum Ende des Lockdowns fertig werde. Sie wurde es nicht, wie die Zuschauer im weiteren Verlauf der Dokumentation schnell feststellen. Zunächst müssten materielle und existentielle Dinge geklärt werden, so Vanderkurth. Außerdem müsse er sich Gedanken machen über die Vermarktung des Projekts. Die Pause nutzt der Protagonist genauso kunstvoll wie der Regisseur Tuschisnki. Er bleibt einfach weiter am Künstler dran. Vanderkurth wird nach einem Viertel des Films wichtiger als die Freiheitsstatue. Das liegt an seinem Charisma. Mit witzigen Einlagen stellt er Stuttgart vor, läuft durch die Straßen und erklärt, wie sich die Stadt verändert hat. Später führt er in sein Werk ein, zeigt Bilder und liefert dazu die jeweilige Kontextgeschichte.
Wenn Vanderkurth so dahinplaudert, spürt man unmissverständlich, dass er sich vor der Kamera sehr wohlfühlt. Mit viel Selbstironie und so manch skurriler Anekdote gelingt es ihm, nicht nur die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen, sondern auch den Regisseur. Tuschinski bringt sich immer wieder ein, gelegentlich mit Kommentaren aus dem Off, häufiger jedoch im Bild als Gesprächspartner, der die Entstehungsgeschichte des Films miterzählt und ihm dadurch eine Metaebene gibt. Wie Vanderkurth begreift er seine dokumentarische Arbeit als offenen Prozess, dessen Verlauf eine gewisse Eigendynamik entwickelt.
Für Überraschungen, das geht aus dem Film deutlich hervor, ist der Stuttgarter Maler und Bildhauer immer gut. Nach Wochen der Stagnation setzt er schließlich seine «Statue of Liberty» fort. Sie soll eine andere Art Denkmal darstellen, erzählt der Künstler in einer Szene – nicht wie gewöhnlich für berühmte Persönlichkeiten bestimmt, sondern für „ganz normale Menschen“. Wenn die Arbeit wieder beginnt, legt sich Vanderkurth mächtig ins Zeug. Er werkelt und ächzt, plant die öffentliche Enthüllung seiner Statue, schreibt eine Pressemitteilung und optimiert sein Instagram-Profil, bis die Befreiung mitten auf der Straße erfolgt – so originell und spaßig, wie es der ganze Film ist. Mit ihm hat Tuschinski ein kurzweiliges Porträt geschaffen, das experimentierend wie philosophisch dokumentiert, welche Kraft der Kunst innewohnt und wozu sie selbst im Lockdown in der Lage ist.
Titelbild: Statue of Liberty / Screenshot