Die Arbeitsbedingungen freiberuflicher Kulturschaffender haben sich im Laufe der Corona-Krise deutlich verändert, vor allem für die kritischen unter ihnen. Wer sich in der Vergangenheit gegen Maßnahmen und Impfung ausgesprochen hat, bekommt so gut wie keine Auftritte mehr. Das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden. Wenn Veranstalter Künstlern mit einer kritischen Haltung gegenüber der Corona-Politik eine Bühne bieten, können sie mit heftigem Gegenwind rechnen. Ihnen droht nicht nur eine schlechte Presse, sondern auch aktivistischer Aufstand vor der Haustür. Das zeigt Wirkung, weshalb widerständige Künstler ausgeladen, ignoriert oder erst gar nicht vermittelt werden. Dabei gibt es nach zwei Jahren unregelmäßigen und stark eingeschränkten Kulturbetriebs ohnehin kaum noch Auftrittsmöglichkeiten. Nicht wenige Veranstalter haben in dieser Zeit das Handtuch geschmissen.
Für die Künstler bedeutet das – sie müssen die Sache in die eigene Hand nehmen. Sie werden selber zu Veranstaltern, so wie die Berliner Violinistin Marta Murvai, die in Zusammenarbeit mit der Galerie Bottega Barone die Event-Reihe «Auftakt» ins Leben gerufen hat. Bereits der Titel deutet die Intention dahinter an. Die Reihe soll einen Neuanfang einleiten und kritischen Künstlern eine Plattform bieten, wo sie ihre Meinung ausdrücken dürfen, ohne Zensur zu befürchten. «Auftakt» verbindet Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen. Musik, Schauspiel, Lesungen: Es dürfen alle auftreten, die mit ihren Werken etwas zu sagen haben. Die Veranstaltungsreihe zielt auf ein kulturelles Gesamterlebnis ab, das mit Diskussionsrunden abgerundet wird. Das Publikum kann Fragen zu den Stücken oder zu den in ihnen aufgeworfenen Themen stellen. Es darf kritisieren und anecken. Unterschiedliche Meinungen sind willkommen. Wichtig ist nicht die Haltung, sondern dass über die Streitpunkte offen geredet wird.
Ausstellungseröffnung von Rocco Barone
Die erste Veranstaltung fand bereits am 14. Mai statt. An diesem Auftaktabend stellte der Kunstmaler, Grafiker und Bildhauer Rocco Barone seine Werke vor. Es war eine Ausstellungseröffnung, in der die Gäste einen Einblick in dessen über 40-jähriges künstlerisches Schaffen bekamen. Barones Bilder stellen Landschaften wie Menschen dar, meist sehr sinnlich und in Anlehnung an den üppig wuchernden Barockstil seiner Heimatstadt Lecce. Außerdem finden sich in ihnen astronomisch anmutende Perspektiven sowie psychophysische Elemente. Sie gehen auf Barones Hang zur «Deformation» zurück, einer Stilrichtung, die der Künstler bereits 1975 entdeckte.
Zusätzlich zur Vernissage stellte Barones Tochter Alexandra und Violinistin Murvai den Gästen die «Auftakt»-Reihe vor und gaben ihnen einen Vorgeschmack darauf, was sie in den nächsten Wochen und Monaten erwartet. Die Veranstalter wollen mit ihr ein neues Bewusstsein schaffen. „Die letzten 24 Monate haben gezeigt, dass sich in der Gesellschaft, vor allem aber in der Kulturbranche etwas verändern muss“, sagt Murvai. Die Violinistin möchte die Klassik ein wenig entstauben, ihr das nehmen, was viele auf Distanz hält. Das Publikum soll einen Zugang zu dieser als elitär geltenden Materie bekommen. „Die Klassik hat so eine unglaubliche Bandbreite“, schwärmt die Violinistin. „Sie zeichnet sich durch eine große Virtuosität aus.“ Diese will Murvai fördern, indem sie Klassik Leuten vermittelt, die mit ihr noch keine Erfahrung haben.
Die nächste «Auftakt»-Veranstaltung findet am 27. Mai statt. Murvai tritt an diesem Abend mit der Schauspielerin Philine Conrad auf, die aus «Geistige Gefangenschaft» vorlesen wird, ihrem gemeinsamen Stück mit Dieter Brandecker. Darin beleuchten die beiden Künstler unterschiedliche gesellschaftliche Prozesse und Umwälzungen. Es geht um Themen wie Denunziation und Zensur, um massenhafte Testungen der Kinder und deren Reaktionen. Das Stück versteht sich als eine Art Zeitzeugenbericht der letzten zwei Jahre. Zwischen den vorgelesenen Szenen wird Murvai auf ihrer Geige spielen – «Recitativ und Scherzo Caprice» von Fritz Keisler, «Chaconne» aus der D-Moll-Partita von Johann Sebastian Bach oder «Caprice Nr. 24» von Niccolò Paganini. Nach der Veranstaltung soll wieder lebhaft diskutiert werden, so wie am Auftaktabend am 14. Mai, als Künstler und Publikum in familiärer Atmosphäre noch bis in die Nacht zusammensaßen.