Regierungs- und zeitkritische Bildende Kunst ist auf dem Vormarsch. Lange Zeit hatte sie es schwer, im öffentlichen Raum Präsenz zu zeigen. Doch so allmählich tun sich immer mehr Möglichkeiten auf. Erst kürzlich hat Simon Rosenthal in der Wuppertaler Galerie Friedrich + Ebert seine Ausstellung „Heimatfront“ eröffnet. Bis zum 17. November können Besucher dort Exponate betrachten, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie über kognitive Kriegsführung die Zivilbevölkerung in die Kriegsvorbereitung einbezogen wird.
In Mannheim präsentiert die Heidelberger Künstlerin Gisela Makowski am 25. Oktober im Rahmen des Kulturevents „Nachtwandel“ zwei Tage lang eine ihrer begehbaren Installationen, um die Gäste mit den gesellschaftlichen Verfehlungen der letzten Jahre zu konfrontieren. Und in Berlin stellen derzeit gleich mehrere Künstler ihre Werke im Pavillon Milchhof aus, einem Showroom, der aufgrund seiner Glasfenster eine Besichtigung rund um die Uhr ermöglicht.
Die auf sechs Wochen angesetzte Ausstellung trägt den Titel „Real“. Pate dafür steht der französische Philosoph Roland Barthes. Realität entsteht erst in dem Aufeinandertreffen von Erschaffen und Betrachten eines Kunstwerks, lautet eine seiner Thesen. „Radikal zu Ende gedacht kann somit die Kunst erst im Menschen die Wirklichkeit wirklich werden lassen“, heißt es in dem Katalog zur Ausstellung. „Die Kunst produziert keinen Fake, sie produziert keine News, sondern menschliche Wirklichkeit und bildet einen fruchtbaren Boden für Dialog.“
Organisiert wird die Ausstellung von Berthold Bock und Frauke Menzinger, einem Künstlerpaar, das zu diesem Anlass fünf weitere engagierte Kollegen um sich versammelt hat. Alle zwei Wochen werden die Exponate gewechselt. Jeder Slot hat eine eigene Bezeichnung und befasst sich mit einem jeweils anderen gesellschaftlichen Aspekt. Seit der Eröffnung am 2. Oktober steht das Thema Krieg im Vordergrund – „Erschüttertee Ebenen“ so der Titel. Organisator Bock präsentiert in diesem Zusammenhang unter anderem sein Werk „Frieden“, ein Gemälde im Stile der Romantik, auf dem sich eine Landschaft ins Unendliche ausbreitet und die Konturen am Horizont vermischen. Das Bild strahlt Ruhe und Entspannung aus. Bock sieht in Natur und Landschaft einen Rückzugsort, der Schutz vor Zivilisationskrankheiten und gesellschaftlichen Zerstörungsmechanismen bietet.
Auseinandersetzung mit der Corona-Politik
Am kommenden Freitag findet der erste Wechsel statt. Unter dem Titel „Ohnmacht“ werden Exponate ausgestellt, die die Ereignisse und Entwicklungen rund um die Corona-Politik aufgreifen. Wie bei der Eröffnung bekommt die Vernissage einen feierlichen Rahmen, mit einem Beitrag jenseits der Bildenden Kunst. Wurde den Gästen das letzte Mal die Theaterperformance „TRIPLE A – Moralinsüß“ dargeboten, wird nun der Philosoph Michael Andrick aus seinem neuen Buch „Im Moralgefängnis“ lesen.
Die neuen Exponate spielen dann erneut mit Sinnbildern. Mitorganisatorin Frauke Menzinger etwa präsentiert ihre Fotografie „Off“, auf dem man eine verlassene Lagerhalle im Dunkeln sieht. Nur das grelle Fensterlicht deutet an, dass sich dort jemand in der Weite des Gebäudes verloren hat. Als Sinnbild steht „Off“ für das Innen und Außen in der Zeit der Corona-Maßnahmen. Anders als Bocks Landschaft ist das Innere des Gebäudes nur ein vermeintlicher Schutzraum, viel eher ein Ort der Einsamkeit und des Eingesperrtseins. Das Außen, die dunkle Umgebung, mutet hingen als Unort an, von dem Bedrohung und Gefahr ausgehen, der Kontrolle und Beobachtung suggeriert.
Denken in Graustufen
Der zweite und letzte Wechsel der Exponate erfolgt am 1. November, wenn Alexa Rodrian und Jens-Fischer Rodrian die Vernissage musikalisch begleiten. Eingeleitet wird der Slot „Graustufen“. Die Botschaft ist eine verbindende, im Sinne des Pluralismusgebots. In einer Zeit der radikalen Polarisierung sollte der Weg zurückgefunden werden zum differenzierten Denken. Es gibt nicht nur „richtig“ und „falsch“, nicht nur „gut“ und „schlecht“, sondern vielleicht etwas dazwischen, Graustufen, die es sich zu entdecken lohnt.
Mit dabei bei der gesamten Ausstellung ist auch das IAFF-Mitglied Clément Loisel. Der Wahlberliner präsentiert einige seiner allegorischen Bilder, deren Bedeutung sich erst erschließt, wenn die Betrachter vom Motiv abstrahieren. Loisel versteht sich als sozialkritischer Wanderer, als Beobachter und Chronist, der den Zustand der Welt so dokumentiert, dass die Betrachter zum Nachdenken angeregt werden.
Diese Grundeinstellung hat er selbstreflexiv in einer Serie verarbeitet. Auf jedem Bild tritt Loisel in der Rolle des Reisenden auf, mit Koffer und der immer gleichen Kleidung. Was sich ändert, ist die Umgebung, in der er sich inszeniert. Auf dem Bild des aktuellen Slots begibt er sich in eine zerbombte Straße in Gaza. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine „Erschütterte Ebene“, die die Betrachter genauso mit der Realität konfrontiert wie die gesamte Ausstellung.