Politik und erst recht Geopolitik sind ohne Lügen gar nicht denkbar. Wer sich in der Geschichte gut auskennt und die Ereignisse der letzten Jahrzehnte kritisch betrachtet hat, weiß das. Nur Menschen mit wenig Lebenserfahrung oder einem Hang zur Gutgläubigkeit vertrauen darauf, dass auf den oberen Entscheidungsebenen alles mit rechten Dingen zugeht. Dass sie nicht gerade in der Minderheit sind, hat die Corona-Krise gezeigt. Selbst eklatante Widersprüche im Narrativ können die Masse nicht zum Zweifeln bringen. Mit einer weiteren Lüge werden alle Unebenheiten glattgebügelt, und schon ist der Glauben hergestellt, dass alles seine Ordnung hat.
Insbesondere an diese Menschen richtet sich Flo Osrainiks neues Buch, in dem der Journalist das gigantische Lügengebäude sprachgewaltig sprengt. Auf knapp 350 Seiten geht er den vielen Mythen, Legenden, Winkelzügen und Vertuschungen nach, mit denen vor allem westliche Regierungen Konflikte angeschoben und die Welt zu einem Krisenherd gemacht haben. Die Lektüre gleicht einem Parcours durch das schmutzige Propaganda-Dickicht der letzten Dekaden. Von 9/11, den Anthrax-Skandal und der Brutkastenlüge bis hin zu dem Abhörskandal rund um die NSA, den Folterungen in Guantanamo und der Corona-Politik gibt es keinen Punkt, den der Autor auslässt. Seine Ausführungen beruhen auf einer tiefen Recherche, wie nicht nur die vielen Quellen erkennen lassen, sondern auch die eingestreuten Hintergrunddetails.
Großer Unterhaltungswert
Osrainik zeigt sich in dem Buch argumentationsstark, vor allem aber als gewitzter Wortakrobat. Seine Schreibweise ist alles andere als konventionell. Die Formulierungen fallen oft ironisch oder sogar flapsig aus, sodass die Lektüre stets ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubert. Ein genialer Schachzug: Ohne diese humoristische Färbung wären die vielen Lügen und das auf ihnen basierende Unrecht nur schwer verdaubar. Dem Autor gelingt es meisterhaft, das Grauen so zu pointieren, dass die Leser zum Nachdenken angeregt werden. Dieser Ansatz spiegelt sich in den hervorragend ausgewählten Aphorismen bekannter Persönlichkeiten wider, die jedes Kapitel einleiten. „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben“, lautet einer von Alexander Humboldt. Oscar Wilde wird hingegen mit den folgenden Worten zitiert: „Wenn jemand so phantasielos ist, eine Lüge mit Beweismaterial zu stützen, kann er ebenso gut gleich die Wahrheit sagen.“
Das originellste Zitat stammt jedoch von dem russischen Schriftsteller Alexander Solschenizyn, mit dem sich Osrainiks Buch prägnant zusammenfassen lässt: „Wir wissen, sie lügen. Sie wissen, sie lügen. Sie wissen, dass wir wissen, sie lügen. Wir wissen, dass sie wissen, dass wir wissen, sie lügen. Und trotzdem lügen sie weiter.“ Allerdings, muss man einwenden, scheinen das nicht alle zu wissen. Ihnen öffnet der Autor die Augen, indem er beispielsweise darüber aufklärt, dass die Weißhelme „alles andere als eine neutrale Hilfsorganisation“ sind und mit dem IS bzw. mit Al-Nusra zusammenarbeiten. Und zur Führungsspitze der Terrormiliz gehörten „hauptsächlich ehemalige Geheimdienstoffiziere der irakischen Armee aus Saddams Zeiten, für die der Islam, man höre und staune, ja nur ein Mittel zum Zweck war“. Betreut hätte sie Hegemonialmacht USA bzw. deren eigenen Geheimdienste. Diese seien zudem für die Morde an John F. Kennedy, „dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme oder dem kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba“ verantwortlich.
Krieg, Terror, Tyrannei
Wenn Osrainik diese Zusammenhänge offenlegt, achtet er auf keine Struktur, sondern springt zwischen Ort und Zeit. Sein Buch ist lediglich in drei Teile geteilt, allerdings so, dass sich die Sinnhaftigkeit der Gliederung erst auf der Sprachoberfläche ergibt. Auf „Krieg“ folgt „Krieg, Terror“ und dann schließlich „Krieg, Terror, Tyrannei“. Diese in den Überschriften ausgedrückte Akkumulation symbolisiert das Wesen der Lüge: Sie pflanzt sich fort. Auf der Anfangslüge bauen sich weitere Lügen auf. Meistens dienen sie, um Kriege zu führen, weshalb alle Kapitel von ihnen handeln, ob sie nun physisch oder psychisch ausgetragen werden, ob sie sich gegen andere Staaten richten oder gegen die eigene Bevölkerung. Und wie die Lüge weitere Lügen hervorbringt, zeitigt der Krieg zunächst Terror und schließlich die Tyrannei.
Im Schlusskapitel wendet sich Osrainik direkt an die Leser, um sie mit der bitteren Realität zu konfrontieren: „Wie gefällt Ihnen etwa das einheitlich eingeführte Abfragen Ihrer ganz persönlichen Daten zur Verarbeitung im Netz“, fragt er. „Zum Beispiel Informationen auf ihrem Gerät mithilfe von Cookies abzurufen, Erkenntnisse über Zielgruppen zu erhalten, Ihre Daten zu anderen Zwecken weiterzugeben, ein Verhaltensprofil von Ihnen anzulegen, mit anderen Seiten Offline-Daten abzugleichen, Ihr Surferverhalten zu analysieren und automatisch auszulesen, zu verarbeiten und zu übermitteln?“ Solche Fragen füllen in der Folge ganze Seiten, und Osrainik geht darauf ein, dass die „Forschung von der Pentagon-Abteilung Darpa und anderen Verteidigungsministerien sowie Rüstungskonzernen längst finanziert wird?“; dass sich die staatliche Kontrolle ausweitet; dass die Freiheit auf dem Spiel steht und dass die westlichen Gesellschaften von chinesischen Zuständen samt dem Social-Credit-System nicht weit entfernt sind. Sie müssen endlich aufwachen, aufstehen und gegen diese Entwicklungen aufbegehren, lautet sein Schlussplädoyer. Gründe dafür liefert sein Buch allemal.