«Rolf» – Unterhaltsamer Roman über die Angst vor dem Erwachsenwerden

Der Alltag in einem Versicherungsunternehmen bietet wenig Abenteuer. Hin und wieder ein Vortrag vor den Kollegen, manchmal unterhaltsame Gespräche in der Kantine, ansonsten aber langweilige Verwaltungstätigkeiten. Philipp, der Protagonist in Andri Hinnens Debütroman «Rolf», führt dieses Büroleben seit mehreren Jahren. Um sein Kleinbürgerdasein perfekt zu machen, hat sich der Enddreißiger mit seiner Verlobten Amanda in die Vorstadt zurückgezogen. Aufregende Tage erlebt er eher selten. Doch das ändert sich, als Philipp sich von einem Jugendfreund überreden lässt, am Wochenende einem Musikfestival beizuwohnen.

Was dort genau passiert ist, wird nur angedeutet. Es muss aber wild zugegangen sein – mit viel Alkohol und synthetischen Drogen. „Alles, woran er sich erinnern konnte, waren vereinzelte, isolierte Empfindungen“, heißt es. „Ein gegrilltes Marshmallow, das seine Geschmacksnerven in ein gigantisches Meer von Milch und Honig tränkte. Ein halb nackter DJ, der wie ein Aztekengott über der Menge thronte und die einzelnen Schicksale zu einem zuckenden Ganzen verschmolz. Hypnotische Lichtstrahlen, die seinen Körper durchdrangen wie die Dämonen am Ende von Indiana Jones.“ Solche wunderschönen Sprachbilder durchziehen Hinnens Werk und zeugen von literarischer Begabung.

Begegnung mit dem inneren Dämon

Die Prosa des Schweizer Autors kommt leichtfüßig daher, schöpft aus einem breiten Wortschatz und enthält viele skurrile Ideen. Mit teilweise schwarzem Humor erzählt Hinnen, wie sein Protagonist nach dem ausschweifenden Musikfestival in eine psychische Krise gerät und seinem inneren Dämon in Gestalt des titelgebenden Rolfs begegnet. Der draufgängerische Typ erinnert ein bisschen an Brad Pitts Charakter in «Fight Club», nur dass sein Erscheinungsbild durch Tentakel geprägt ist. Mit seiner Hilfe gerät Philipps Leben aus den Fugen. Er greift häufig zur Flasche, stellt anderen Frauen nach und zeigt sich plötzlich für allerlei Schandtaten bereit.

Der Wandel bleibt nicht ohne Folgen. Philipps Beziehung zerbricht, sein Umfeld erkennt ihn kaum wieder. Bevor sich die Dinge wieder normalisieren, wächst das Chaos zu einer Lawine heran. Zeitweise ist es schwer nachvollziehen, ob die beschriebenen Ereignisse real oder bloß Hirngespinste eines kranken Geistes sind. An solchen Stellen merkt man, welchen Spaß der Autor am Fabulieren hat. Manchmal geht die Fantasie etwas stark mit ihm durch, so dass der eine oder andere Schuss über das Ziel hinausgeht.

Bis auf einige wenige Schwächen bewährt sich der Roman aber als gute Unterhaltung. Andri Hinnen nimmt sich darin eines Themas an, das zumindest vor Corona den Zeitgeist prägte: die Angst vor dem Erwachsenwerden. Der Protagonist Philipp verkörpert den spätadoleszenten Typen der Gegenwart, dem es schwerfällt, Verantwortung zu übernehmen. Das Gefühl, sein Leben nicht gelebt zu haben, schlummert so lange in seinem Unterbewusstsein, bis ein innerer Dämon heranwächst, der die Kontrolle übernimmt und die Entscheidung erleichtert.  

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