23. November 2024

Musiker SiDIY: „Bau dir deine eigene neue Normalität“

Sid der Liedermacher macht schon seit mehreren Jahrzehnten gesellschaftskritische Musik. Um die Corona-Krise zu verarbeiten, hat er einen Genrewechsel vollzogen und den Künstlernamen geändert. Herausgekommen ist eine Hip-Hop-EP mit Elektro-Elementen. Warum er diesen Ansatz gewählt hat, erzählt der Musiker im Interview.

SiDIY, deine erste EP hast du „Die Neue Normalität“ genannt. Damit beziehst du dich auf den gesellschaftlichen Zustand seit der Corona-Politik. Ist dieser Zustand schon vorbei oder dauert er immer noch an? Wie siehst du es?

Dass die „neue Normalität“ ein Dauerzustand sein soll, erklärt sich ja im Begriff selbst und wurde auch von Anfang an von Politikern, Machtmenschen und Systemmedien so kommuniziert. Im Moment erleben wir ja gerade eine kleine Verschnaufpause. Die wird aber meiner Einschätzung nach nur von kurzer Dauer sein. Ich bin gespannt, welche Vorwände für die Einführung der digitalen Diktatur als nächstes die Schlagzeilen beherrschen werden. Ich persönlich „hoffe“ ja immer noch auf eine vorgetäuschte außerirdische Invasion, aber vermutlich wird es eher in Richtung Klimakrise oder Cyberangriff auf Internet und/oder Stromversorgung gehen.

„Die Neue Normalität“ – so heißt auch ein Song auf der EP. Darin lässt du sozusagen die letzten Jahre Revue passieren und beleuchtest sie aus verschiedenen Perspektiven. Der Song hat aber auch einige mutmachende Zeilen. Welche Hauptbotschaft möchtest du an deine Hörer in diesem Track senden?

Die Kernaussage des Tracks ist für mich, dass wir als einzelne mehr Einfluss auf unser Leben haben, als man uns glauben macht. Deswegen sage ich darin ja auch: „Bau dir deine eigene neue Normalität“. Ich sehe viele Menschen, die in den letzten paar Jahren einen klaren Schritt raus aus der Matrix gemacht haben, und ich glaube, wenn wir erst einmal eine kritische Masse erreichen, steht der „Apokalypse“ im ursprünglichen Sinn des Wortes, nämlich Offenbarung, Offenlegung, nicht mehr so viel im Wege.

Optimistisch kommt auch der Song „Propheten“ daher. Er ist allen gewidmet, die sich in den letzten Jahren getraut haben, der Mehrheitsmeinung und der staatlichen Propaganda Widerstand zu leisten. Kannst du bitte erläutern, wie sich der Songtitel mit diesen Menschen in Verbindung bringen lässt? 

Die Propheten sind für mich die kritischen Stimmen, die Gegenentwürfe für unser gesellschaftliches Miteinander aufzeigen – ob Journalisten, Rapper, Musiker, Künstler, Youtuber oder andere. Ich denke, wir brauchen ein starkes neues Narrativ, das der offiziellen Geschichte etwas entgegensetzt und dazu geeignet ist, die aufgeworfenen Fronten wieder zu vereinen. Ein Aspekt, den ich in diesem Song auch anspreche, ist diese deprimierende Idee, dass wir in unserem gesellschaftlichen Miteinander hauptsächlich von Gier und Egoismus gelenkt werden – die Triebfedern des Kapitalismus. Im Gegensatz dazu sehe ich die treibende Kraft hinter aller menschlichen Entwicklung vielmehr im Bedürfnis zum Miteinander, der Empathie und der Fähigkeit zum Kompromiss.

Die EP besteht ausschließlich aus Rap-Stücken. Eigentlich bist du Liedermacher, der klassisch auf der Gitarre spielt und singt. Wie kommt es, dass du das Genre gewechselt hast.

Als Kind der 80er war meine erste große Liebe die Neue Deutsche Welle, und ich habe damals mit Synthesizern meine ersten Songs geschrieben. Anfang der 90er habe ich dann frühen Deutschrap gehört: Fettes Brot, Freundeskreis, Fanta 4 etc. und selber angefangen, Rap zu schreiben. Insofern ist dieses jüngste Projekt eher eine Rückkehr zu meinen Wurzeln. Der eigentliche Auslöser war, dass ich in unserem ersten Haus hier in Mexiko keinen Raum hatte, wo ich Gesangsaufnahmen hätte machen können. Daher habe ich aus Spaß angefangen, Rap-Beats zu basteln. Und nachdem ich dann einen Schwung Beats hatte, flossen plötzlich die Rap-Texte dazu wie von selbst aus der Feder.

Mit dem Genrewechsel hast du zugleich auch deinen Künstlernamen geändert. Warum musste das sein?

Vielleicht musste das ja nicht sein. Ich tue mich immer etwas schwer mit all den Künstlernamen, wollte aber dieses neue Projekt eben etwas absetzen von meinen Liedermacher-Songs. Der Name ist eine Mischung aus „Sid“ (mein Spitzname) und DIY.

Zum Hip-Hop-Beat lässt du bisweilen Elektro-Klänge einfließen, so wie in dem Song „Die Zeiten ändern“ sich. Kannst du diesen Ansatz ein bisschen erläutern – warum dieser Mix?

Ich mag zwar Sprechgesang, bin aber eben kein Hip-Hopper. War ich nie. Ich höre selbst eine sehr eklektische Mischung von Musik – von Jazz bis Tech House, von Abba bis Zappa. Insofern geraten meine Beats eben auch gerne mal etwas anders, als man das sonst so von Sprechgesang oder gar Hip-Hop erwarten würde.

Der Song beschäftigt sich mit dem Katastrophen-Kult. Warum haben Katastrophen derzeit Hochkonjunktur. Wie lautet deine Erklärung?

Wer Angst hat, lässt sich leichter steuern, und das ist keineswegs nur eine Erscheinung unserer Tage. In „Die Zeiten ändern sich“ geht es ja gerade darum, dass mein Dasein, so lange ich denken konnte, immer von diesen drohenden Katastrophen überschattet war: Überbevölkerung, saurer Regen, Ozonloch, Tschernobyl, Atomkrieg usw. Vor fünf Jahren fand ich mich plötzlich mitten in einer kompletten Klimakatastrophen-Depression. Inzwischen versuche ich, diese ganze Panik endlich hinter mir zu lassen und stattdessen eine Vision für eine positive Zukunft für Menschheit und Planeten zu kultivieren.

Der letzte Song der EP trägt den vielsagenden Titel „Verzeihen“. Er beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen Spaltung, die während der Corona-Zeit durch Freundschaften und Familien ging. Welche Erfahrungen hast du gemacht? Hast du Menschen aufgrund von Meinungsunterschieden verloren?

Ich persönlich hatte wahnsinniges Glück, was das angeht. Die Menschen, die mir wirklich nahestehen, sehen das alles ähnlich wie ich. Die Freunde, die ich verloren habe, waren eher alte Bekannte aus Deutschland, mit denen ich noch über Facebook Kontakt hatte. Ich habe dann 2020 auch mein deutsches Konto gelöscht, um mich diesen fruchtlosen Diskussionen zu entziehen. Dieses Jahr habe ich mal versucht, mit einigen Leuten wieder anzuknüpfen und war überrascht über die Gefühle von Verletztheit, Trauer und Enttäuschung, die dabei in mir aufkamen. Daraus ist dieses Lied entstanden – die Details sind dabei nicht unbedingt autobiografisch, sondern schöpfen aus zahlreichen Erfahrungsberichten, die sowohl aus persönlichen Begegnungen als auch aus dem Internet stammen. Ich glaube, wir fangen gerade erst langsam an, das Trauma der Lockdown-Zeit zu erfassen, geschweige denn zu verarbeiten.

Wie könnte die Spaltung überwunden werden. Wie müsste der Versöhnungsprozess deiner Meinung nach aussehen?

Die Corona-Spaltung ist ja nur ein Aspekt der allgemeinen Polarisierung unserer Gesellschaft. Ich denke, ein Stück weit sollten wir alle mehr bereit sein, unsere eigenen verfestigten Meinungen immer wieder kritisch zu hinterfragen und offen zu sein für einen echten Dialog. Geduld, Toleranz und Empathie sind dabei Werte, die wir auf beiden Seiten dieser Spaltung brauchen werden, wenn wir uns einander wirklich wieder annähern wollen.

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